Banales und Großes liegen nah beieinander: Darum versaute mir der Tod der Queen das erste Pflaumenmus meines Lebens
KURIER-Autor Florian Thalmann stand über Stunden in der Küche, um Pflaumenmus zu kochen. Dann starb die britische Königin.

Am vergangenen Donnerstag hatte ich frei. Ich wollte einen lange gehegten Wunsch in die Tat umsetzen – und Pflaumenmus kochen. Regelmäßig bereite ich Marmelade zu, nutze Früchte und Gelierzucker, die simple Variante. Dieses Mal sollte es etwas Besonderes sein. Seit Wochen lachen mich die Zwetschgen und Pflaumen an, die in Massen in den Supermärkten liegen. Also suchte ich mir ein traditionelles Pflaumenmus-Rezept.
Ich poliere die Pflaumen, entkerne sie, schneide sie klein, eine Heidenarbeit
Ich kaufe ein: Gläser, zweieinhalb Kilo Pflaumen, Zucker, Zimtstangen, Vanilleschoten, was es eben braucht. Stelle mich in die Küche, poliere die Pflaumen, entkerne sie, schneide sie klein, eine Heidenarbeit! Dann mische ich sie in einem großen Bräter mit dem Zucker. Drei Stunden lasse ich sie stehen, genug Zeit für den Zucker, den Saft aus den Früchten zu lösen. Ich stelle alles in den Ofen, für drei Stunden.
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Während ich darauf hoffe, dass alles gelingt, kommt mein Lebensgefährte ins Wohnzimmer. Er schaltet den Fernseher an – und der Nachrichtensprecher verkündet, dass es Queen Elizabeth II. sehr schlecht geht. Über den Tag habe ich davon nichts mitbekommen, ich habe ja frei. Ich denke noch: Sicher rappelt sie sich wieder. Beobachte weiter die Pflaumen im Ofen. Doch dann: „Uns erreicht soeben die Meldung: Queen Elizabeth II. ist tot.“ Ich nehme den Bräter aus dem Backrohr.
Wie ging es Ihnen, als Sie vom Tod der Königin hörten?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, als sie vom Tod der Königin hörten, aber ich war ziemlich platt. Natürlich musste man angesichts des hohen Alters damit rechnen. Und dennoch traf es mich sehr. Die Queen war – wenn ihr Thron auch nicht in unserem Land stand – eine Konstante. 70 Jahre regierte sie. 2015 berichtete ich über ihren Besuch in Berlin, sah sie am Brandenburger Tor. Ich kam natürlich nicht an sie heran, aber erinnere mich noch heute an ihr gelbes Kostüm. Ich spürte die Faszination der Menschen, die sich hier versammelt hatten.

Großbritannien ohne sie? Für mich unvorstellbar! Die Gedanken kreisen. Was wird in den kommenden Tagen passieren? Wie geht es nun weiter? Wann findet die Beisetzung statt? Wie geht es den Menschen in England? Ich gehe an den Computer, lese ein paar Artikel, helfe den Kollegen beim KURIER beim Aktualisieren der Zeitung. Eine Stunde vergeht, dann sind es zwei. Warum fühlt es sich so an, als sei ein geliebter Mensch gestorben, obwohl man Elizabeth II. gar nicht persönlich kannte?
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Ich komme zurück in die Küche. Mein Blick fällt auf die Theke. Meine Pflaumen! Das Mus-Projekt hatte ich vollkommen vergessen. Die Obst-Masse ist abgekühlt, der Zucker fest geworden, alles ist zu einem klebrigen Klumpen zusammengeschmolzen. Ich bin, wie die Queen so oft, not amused. Wie schnell doch die Ereignisse so eine völlig banale Tätigkeit aus dem Ruder laufen lassen.
Ich kratze den Klumpen aus dem Bräter, lasse ihn in einen Kochtopf plumpsen und erwärme ihn. Als er etwas weicher geworden ist, püriere ich ihn. Alles schäumt wie verrückt – wie Pflaumenmus sieht das nicht aus, eher wie eine undefinierbare, rosafarbene Pampe. Im Fernseher beginnt die Staatstrauer. Was hätte die Queen getan? Ich atme tief durch und rühre mit stoischer Ruhe, immer weiter. Das Mus wird plötzlich dunkelbraun – und immer fester.

Ich spüle die Gläser heiß aus, fülle es ab. Ich kleckere und kleckere. Egal, rein ins Glas, Deckel drauf, die Küche sieht aus! Königlich ist definitiv anders. Eine Woche ist das her, inzwischen habe ich auch eines der Gläser aufgemacht. Überraschung: Schmeckt nicht! Es ist viel zu fest – die Unterbrechung, in der ich mit der Lage in der Welt beschäftigt war, hat dem Produkt nicht gut getan. Elizabeth II. hätte es sicher trotzdem mit Humor genommen.
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Und sie hat uns gelehrt, wie wichtig es ist, einfach weiterzumachen. Kriege, Krisen, versautes Pflaumenmus? „Wer richtig trainiert ist, kann viel erreichen“, hat Elizabeth II. mal gesagt. Ich werde einen neuen Versuch wagen. Und bis dahin bleiben mir zwei Dinge: Vier Gläser Pflaumenmus, die ich vermutlich niemals öffnen werde. Und die Erkenntnis, dass ich von nun an immer weiß, wo ich damals war, als die britische Königin die Welt für immer verließ.
Florian Thalmann schreibt eigentlich mittwochs über Tiere - aber manchmal auch am Montag über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com