Schon am Bahnsteig in Hamburg stehen die zahlreichen Fahrgäste ohne Mindestabstand
Schon am Bahnsteig in Hamburg stehen die zahlreichen Fahrgäste ohne Mindestabstand Foto:  Privat

Mindestabstände und Maskenpflicht sind im Alltag längst Gewohnheit geworden. Doch es gibt noch immer Orte, an denen die Auflagen nicht eingehalten werden können: in der Deutschen Bahn. Wer auf den Schienenverkehr angewiesen ist, erlebt in Zeiten der Vorsicht im völlig überfüllten ICE sehr fragwürdige Zustände.

Hamburg-Hauptbahnhof, Sonntag, 13.30 Uhr: Ich, die KURIER-Reporterin, warte auf den ICE 709 nach München mit dem Halt in Berlin-Südkreuz. Schon am Bahnsteig herrscht Gedränge ohne Abstandseinhaltung. Eine Situation, die mir Sorge bereitet. Ich würde gern eine Verbindung später nehmen, doch da ich ein Sparticket gebucht habe, bin ich an diesen überfüllten Zug gebunden. So steht es auf meiner Fahrkarte. 

Der Zug fährt ein. Viele Fahrgäste können nicht abwarten und strömen gleichzeitig auf den engen Eingang zu. Mir wird zunehmend mulmiger. In den Abteilen kommen sich Schlangen aus zwei Richtungen entgegen. Jeder versucht, noch einen freien Platz zu ergattern. Ich entdecke viele Senioren unter den Passagieren, die zur Risikogruppe der Corona-Pandemie zählen. Ich frage mich, warum die 50-Prozent-Auslastung der Deutschen Bahn während der Ausgangsbeschränkungen zum Schutz der Fahrgäste  nicht aufrechterhalten wurde?

Ich habe keinen Platz reserviert, da ich bereits vor zwei Wochen ein ähnliches Erlebnis mit einem überfüllten ICE von Hamburg nach Berlin hatte und nicht zwischen Fahrgästen eingepfercht in einem Abteil mit abgestandener Luft sitzen möchte. Ich kämpfe mich durch die Massen ins Bord-Restaurant, aber auch dort sind sämtliche Plätze bereits belegt und ich weiß nicht, wohin ich noch ausweichen soll. Draußen bahne ich mir erneut den Weg durch eine Gruppe, die den Gang blockiert. Einigen hängt die Maske schlaff vom Gesicht. Als ich ein wenig unwirsch frage, ob sie mich mal durchlassen und Abstand wahren könnten, lachen sie. Sie trinken Bier und sind fröhlich, im Gegensatz zu mir. Vielleicht bin ich schon zu ängstlich und verbissen, schießt es mir durch den Kopf. Corona hat mir die Unbeschwertheit genommen. 

Die Fahrgäste drängen sich durch das Abteil. 
Die Fahrgäste drängen sich durch das Abteil.  Foto: privat

 Inzwischen habe ich mich auf dem Gang stehend in eine Ecke verkrochen. Bei meiner letzten Fahrt vor zwei Wochen stand ich schon einmal hier, um vor der Masse zu flüchten. Damals hatte ich keinen Sparpreis gebucht, sondern den vollen Preis (80 Euro) gezahlt. Ein Bahnmitarbeiter sagte mir: „Beschweren Sie sich gern im Kundencenter. Damit würden sie auch mir einen Gefallen tun“, sagte er mir. Er erklärte mir, dass er momentan täglich in überfüllten Zügen arbeiten müsse und es ihm genauso Sorge bereite.

Ich habe mich nicht beschwert und auch lange überlegt, ob ich über mein Erlebnis schreiben soll. Doch nach dem zweiten Erlebnis bin ich wütend. Ich kann nicht verstehen, warum überall die Abstandsregelung herrscht und im ICE nicht. Wie kann das Problem gelöst werden? Der KURIER hat offiziell bei der Deutschen Bahn nachgefragt: „In Corona-Zeiten ist Eigenverantwortung im öffentlichen Raum gefragt und dazu gehört das Bahnfahren“, teilt eine Bahn-Sprecherin mit und verweist auf die Maskenpflicht. Eigenverantwortung hieße auch, bei einer vollen Bahn gegebenenfalls eine andere Verbindung zu wählen. Von einer Reservierungspflicht (Anm. der Redaktion: die das Fahrgastaufkommen regulieren könnte) werde aus verschiedenen Gründen abgesehen. Doch der Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß (CDU) und Mitglied des Verkehrsausschusses fordert auch eine Einhaltung des Mindestabstandes in der Deutschen Bahn. Er sagt gegenüber dem KURIER: „Auch in den Zügen muss kontrolliert werden, ob die Mindestabstände eingehalten werden. Wenn das wegen eines zu hohen Passagieraufkommens nicht gewährleistet werden kann, sollten keine weiteren Fahrgäste mehr mitfahren, die keine Sitzplatzreservierung haben“, so Ploß. Die Kontrolle sollte durch das Bahnpersonal erfolgen. Am aktuellen Beispiel der Superspreaderin in Garmisch-Partenkirchen könne man sehen, wie schnell sich zahlreiche Menschen auf einmal infizieren könnten, wenn es zu Massenaufläufen kommt. 

Gegen 15.30 Uhr erreichen wir Berlin-Hauptbahnhof. Ich bereue es, nicht schon in Spandau ausgestiegen zu sein, um von dort aus mit der U-Bahn weiter zu fahren. Während ich im Gang stehe, ziehen erneut Massen an mir vorbei. Ich kann mich mit Mühe in ein Abteil in die nächste Ecke verdrücken. Nach zehn Minuten habe ich es endlich geschafft und kann am Südkreuz aussteigen. Die zwei Stunden im ICE haben mir viel Kraft geraubt. Ob ich wieder in die Bahn steigen werde? Ich denke darüber nach, mir wieder ein Auto anzuschaffen. Das fällt wohl auch unter Eigenverantwortung.