Radfahrer gegen Autofahrer, Fußgänger gegen Radfahrer

Auf den Berliner Straßen hat die Aggression Vorfahrt: Warum der Senat es nicht schafft, für ein Miteinander im Verkehr zu sorgen

Berlin will Vorbild sein bei der ökologischen Verkehrswende. Doch ihre Umsetzung stellt sich als mühsam heraus.

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Der Radfahrer hat gut lachen: Er hat auf dem breiten Radweg in der Skalitzer Straße viel Platz, Autos stehen auf der auf eine Spur verengten Straße nur noch im Stau.
Der Radfahrer hat gut lachen: Er hat auf dem breiten Radweg in der Skalitzer Straße viel Platz, Autos stehen auf der auf eine Spur verengten Straße nur noch im Stau.Sabine Gudath

Radfahrer gegen Autofahrer, Fußgänger gegen Radfahrer, alle gegen E-Scooter-Fahrer. Stress, Streit und Aggressionen auf der Straße. Das ist Berlin. Oft hat man in der Hauptstadt das Gefühl: Das Einzige, was die Verkehrspolitik des Senats bewirkt, ist, die Gräben zwischen den Verkehrsparteien zu vertiefen. Viel zu selten wird hier versucht, den nötigen Umbau so zu gestalten, dass ein Miteinander und kein Gegeneinander die Vorfahrt hat. Und so sind alle in der Stadt unzufrieden.

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Schnelle Trassen für Radfahrer, grüne Flaniermeilen zum Bummeln ohne Lärm und Abgase, Wohnstraßen mit spielenden Kindern: Visionen für eine – zumindest weitgehend – autofreie Stadt gibt es viele in Berlin. Doch der Weg in das vermeintliche Ökoparadies ist lang und beschwerlicher als gedacht. Fünf Jahre, nachdem das auch heute regierende Bündnis aus SPD, Grünen und Linke den ökologischen Stadtumbau ausrief und damit begann, den öffentlichen Raum – wie es heißt – „gerechter“ aufzuteilen, hat sich in der jahrzehntelang autogerecht gestalteten Metropole Ernüchterung breitgemacht.

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Der Ausbau von neuen Radwegen und Busspuren kommt nur schleppend voran

Zwar gibt das bundesweit erste Mobilitätsgesetz dem klimafreundlichen Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr in der Hauptstadt Vorrang. Doch die Umsetzung der hehren Ziele mit neuen Radwegen, sichereren Kreuzungen, mehr Busspuren und weniger Platz für Autos kommt nur schleppend voran und droht, in den Mühen der Ebene stecken zu bleiben.

Dieses weiß angestrichene Fahrrad erinnert an einen tödlich verunglückten 57-jährigen Fahrradfahrer, der auf der Straße Unter den Linden von einem Auto angefahren wurde und an dieser Stelle am 24. Februar starb.
Dieses weiß angestrichene Fahrrad erinnert an einen tödlich verunglückten 57-jährigen Fahrradfahrer, der auf der Straße Unter den Linden von einem Auto angefahren wurde und an dieser Stelle am 24. Februar starb.imago/Hohlfeld

Und so wälzt sich die Autokarawane wie gehabt im Schritttempo durch viele Straßen. Die Zahl der zugelassenen Pkw stieg zuletzt sogar auf 1,243 Millionen – statt zu sinken. In Kiezen, wie Stadtteile in der Hauptstadt heißen, wird um jeden Parkplatz gerungen, der für Radwege oder Busspuren weichen soll. Und Versuche, in bestimmten Straßen den Verkehr zu beruhigen, lösen mitunter Kopfschütteln aus.

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Nur ein Radschnellweg: Das Konzept Friedrichstraße funktioniert nicht

Ein Beispiel ist die berühmte Friedrichstraße, die vor zwei Jahren auf einem Abschnitt rund um das Luxus-Kaufhaus Galeries Lafayette nahe dem Gendarmenmarkt für Autos gesperrt wurde. Bessere Luft, weniger Lärm, eine andere Nutzung des öffentlichen Raums und mehr Attraktivität fürs Shopping sollte das bringen. Kritiker schrien auf.

Inzwischen hat auch Mobilitäts- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) eingeräumt, dass das Konzept so nicht funktioniert. Die „Flaniermeile“ mit Sitzmöglichkeiten, Schaukästen, Topfpflanzen und einem gelb aufgemalten Radweg fanden viele wenig erbaulich. Der Aufschwung für die Einkaufsstraße, die zeitweise dem Kudamm den Rang ablief, später aber zunehmend Probleme bekam, blieb aus.

Missglückter Versuch: Aus der Friedrichstraße sollte eine autofreie Meile zum Bummeln werden. Heraus kam eine Fahrradschnellstraße, die den Fußgängern keinen Platz ließ.
Missglückter Versuch: Aus der Friedrichstraße sollte eine autofreie Meile zum Bummeln werden. Heraus kam eine Fahrradschnellstraße, die den Fußgängern keinen Platz ließ.dpa/Kumm

Nun wird nachjustiert. Nach den Autos sollen auch die Radfahrer verschwinden und eine parallel verlaufende Straße nutzen. Jarasch verspricht einen „attraktiven, modernen und grünen Stadtraum“. Und lässt sich von Rückschlägen nicht von der Idee der Verkehrswende abbringen. „Mobilitätswende gelingt nur, wenn wir offen sind fürs Ausprobieren. Und dann aber auch konsequente Entscheidungen treffen.“

Im Graefekiez sollen alle privaten Parkplätze wegfallen

Unter den zwölf Berliner Bezirken versteht sich das von den Grünen dominierte Friedrichshain-Kreuzberg als Vorreiter der Verkehrswende. „Mehr grüne Oasen, weniger Beton und Asphalt“, lautet das Motto von Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne). Und ausprobiert wird in ihrem Bezirk eine Menge.

So sollen im Graefekiez, in dem 20.000 Menschen leben, im Rahmen eines Modellprojekts alle privaten Parkplätze im öffentlichen Raum wegfallen und Spielstraßen ausgewiesen werden. Anwohner sollen ihre Autos in einem Parkhaus abstellen. Die CDU spricht von diktatorischen Zuständen und stemmt sich gegen das Projekt. Doch weitere Vorhaben sind schon in Planung. So will Herrmann aus dem Halleschen Ufer, wo bisher Autos auf vier Spuren parallel zur oberirdischen U-Bahn fahren, „eine grüne Fußgänger- und Fahrradpromenade“ entwickeln. Perspektivisch sollen weitere Straßen und Plätze „autofrei“ werden.

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Der ADAC bemängelt, bei allen Ansätzen zur Verkehrswende sei kein Gesamtkonzept erkennbar. Die politisch Verantwortlichen wollten die Zahl privater Pkw mittels Verboten sowie Verteuerung und Reduzierung des Straßen- und Parkraums reduzieren. „Dies geht klar an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.“ Statt auf Verbote müsse Berlin auf Angebote setzen, etwa eine Stärkung des ÖPNV. Eine Verbesserung des Angebots bei Bussen und Bahnen ist erklärtes Ziel des Senats.

Das gilt auch für den Radwegeausbau, der während der Corona-Pandemie einen Impuls bekam: Quasi über Nacht entstanden Pop-up-Radwege, indem Autospuren zu Radspuren umgewidmet wurden, ohne die sonst üblichen langen Planungsverfahren. Mittlerweile sind viele der Provisorien verstetigt – bleiben also dauerhaft. Dennoch geht es beim Ausbau des Radwegenetzes insgesamt nur langsam vorwärts. 3000 Kilometer soll es einmal umfassen, fertig wurden 2021 gut 39 Kilometer.

Kaum noch Platz für Fußgänger: E-Roller und Leih-Mopeds werden kreuz und quer abgestellt.
Kaum noch Platz für Fußgänger: E-Roller und Leih-Mopeds werden kreuz und quer abgestellt.Sabine Gudath

„Statt Flickwerk und Wegen, die im Nichts enden, braucht Berlin dringend ein durchgängiges Netz an guten Radwegen“, mahnt Lisa Feitsch vom Radfahrerklub ADFC. Und dieses müsse endlich vom Papier auf der Straße landen. Leider hake es auf Landes- und Bezirksebene an fehlenden Ressourcen, politischem Willen oder Mut, Neues zu wagen.

Neu wäre auch ein Rückbau der Stadtautobahn. Bürgerinitiativen setzen sich an diversen Abschnitten dafür ein. Ein Teilstück in den Stadtteilen Wilmersdorf und Dahlem hat Berlins rot-grün-rotes Regierungsbündnis im 2021 geschlossenen Koalitionsvertrag konkret in den Blick genommen. Im Falle eines Rückbaus würde unter anderem eine Autobahnbrücke verschwinden, die den Breitenbachplatz mit seiner historischen Bebauung seit den 1970er-Jahren verschandelt.

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Geradezu aberwitzig erscheint der Verkehrswende-Koalition in Berlin der Plan des von der FDP geführten Bundesverkehrsministeriums, im Osten der Stadt die Autobahn A100 zu verlängern. Die Befürworter hoffen auf bessere Anbindung östlicher Stadtteile. Berlins Grünen-Fraktionschef Werner Graf warf Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hingegen „Autobahn-Fetischismus“ vor und kündigte „erbitterten Widerstand“ an. „Wir werden diesen Unfug verhindern.“