Erschreckende Zahlen

Armutszeugnis für Berlin: 154.889 Kinder leben in Armut

In Berlin lebt rund ein Viertel aller Kinder in einer Familie, die Sozialleistungen empfängt. Schlusslicht ist Neukölln.

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Viele Familien sind in Berlin darauf angewiesen, dass ihre Kinder wie hier in der Hellersdorfer Arche täglich etwas zu essen bekommen.
Viele Familien sind in Berlin darauf angewiesen, dass ihre Kinder wie hier in der Hellersdorfer Arche täglich etwas zu essen bekommen.Christian Ditsch/imago

Es sind Zahlen, die jedes Mal erschrecken: Nach neuesten Berechnungen lebt in Berlin rund ein Viertel aller Kinder in Armut, in einer Familie, die Sozialleistungen empfängt. Was es noch schlimmer macht: Es gibt in der Hauptstadt sogar einen Bezirk, in dem mehr als jedes dritte Kind von Armut betroffen ist.

Zwischen den einzelnen Berliner Bezirken gibt es erhebliche Unterschiede, wie aus einer Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Katrin Seidel hervorgeht. Danach gab es Ende des Jahres 2022 insgesamt 632.890 Berliner unter 18 Jahren – und  davon 154.889 in Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Das entspricht einem Anteil von 24,5 Prozent. Im Vergleich zum Jahr davor hat es kaum Veränderungen gegeben. Die Zahl der Minderjährigen in Berlin, die in Armut leben, ging im Vergleich zum Vorjahr mit 889 (0,6 Prozent) nur leicht zurück. 

Angesichts des unverändert hohen Niveaus an Kinderarmut in Berlin fordert die Linke-Abgeordnete Katrin Seidel, Familienzentren und Kita-Sozialarbeit auszubauen. Bei der Kinderarmut gebe es kaum positive Veränderungen, sagt Seidel. „Das ist erschütternd.“

Die Anzahl der von Armut betroffenen Kinder, aufgeschlüsselt nach Bezirken

Die Tabelle zeigt, wie viele Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis unter 7, 7 bis unter 14 und 14 bis unter 18 Ende des Jahres 2022 in Haushalten/Bedarfsgemeinschaften von Beziehern von ALG II lebten.
Die Tabelle zeigt, wie viele Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis unter 7, 7 bis unter 14 und 14 bis unter 18 Ende des Jahres 2022 in Haushalten/Bedarfsgemeinschaften von Beziehern von ALG II lebten.Quelle: Bundesagentur für Arbeit/Statistik-Service Ost, Stichtag Dezember 2022

Nach den Zahlen ist es Neukölln, in denen es Kindern und Jugendlichen am schlechtesten geht:  Der Anteil der Kinder in Sozialleistungen beziehenden Familien lag hier Ende 2022 sogar bei 37,9 Prozent und damit berlinweit am höchsten. In Mitte war er mit 35,2 Prozent allerdings nur unwesentlich niedriger. In Spandau lag er bei 33,5 Prozent, in Reinickendorf bei 30,4 Prozent.

Die niedrigsten Werte hatten Steglitz-Zehlendorf mit 11,4, Pankow mit 11,5 und Charlottenburg-Wilmersdorf mit 17,6 Prozent. In Treptow-Köpenick war er mit 19,2 Prozent ungefähr halb so hoch wie im benachbarten Neukölln.

Der Anteil der in Armut lebenden Kinder in Prozent, aufgeschlüsselt nach Bezirken

Anteil der Kinder in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften an der Gesamtzahl der Kinder in der jeweiligen Altersgruppe in Prozent, nach Bezirk, Dezember 2022
Anteil der Kinder in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften an der Gesamtzahl der Kinder in der jeweiligen Altersgruppe in Prozent, nach Bezirk, Dezember 2022Quelle: Bundesagentur für Arbeit/Statistik-Service Ost, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg

Einziger Lichtblick für Neukölln: Hier nahm die Kinderarmut im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent ab. Im Gegensatz zu scheinbar „besseren“ Bezirken am Stadtrand, in denen die Kinderarmut stark ansteigt. Das betrifft vor allem Steglitz-Zehlendorf (plus 9,9 Prozent) und Treptow-Köpenick (plus 7,1 Prozent).

Die tatsächliche Zahl von Kindern in Armut sei noch größer, sagt Seidel. Statistisch erfasst würden nur Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit Transferleistungen. „Es gibt aber eine große Grauzone von Menschen, die kein Anrecht auf Sozialleistungsbezug haben.“ Das gelte etwa für Menschen, die trotz Arbeit arm seien.

Gerade weil sich Armut nicht vollständig erfassen lasse, seien das kostenlose Schülerticket für den ÖPNV, die gebührenfreie Kita, das kostenloses Mittagessen an Grundschulen und kostenfreie Lernmittel umso wichtiger. „Das ist etwas, das Familien unglaublich entlastet“, sagt Seidel. „Ich erwarte vom Senat, dass das weitergeführt wird. Und wir werden in den kommenden Haushaltsberatungen auch sehr darauf aufpassen, dass das Rad hier nicht zurückgedreht wird.“