Tiertafeln lindern Not
Armut auf vier Pfoten: Ohne ihren Hund würden einige gar nicht aufstehen
Coronakrise, Energiepreise und jetzt auch noch höhere Tierarzt-Rechnungen: Viele Menschen haben Probleme, die Kosten für ihre Haustiere allein zu stemmen. Bei den Tiertafeln ist die Nachfrage so hoch wie nie zuvor.

Es ist kalt an diesem Morgen in Berlin. Auf einer Decke rollt sich ein Hund an sein Herrchen. Der Mann auf dem Bürgersteig hat eine Decke um seinen besten Freud gewickelt. Nur die Schnauze schaut heraus. Passanten haben eine Dose mit Hundefutter hingestellt. Die Armut auf vier Pfoten hat viele Gesichter. Da ist die Rentnerin mit schmalem Budget, die sich die Tierarztkosten für ihre Katze nicht mehr leisten kann, da ist der Arbeitslose, der nur noch wegen des Hundes jeden Tag aufsteht und nicht weiß, wie er all das bezahlen soll. In der Not wenden sich Tierhalter in Berlin und anderswo an Tiertafeln. Weil der tierische Freund manchmal wichtiger ist, als man selbst. Weil das Zusammensein hilft und heilt.
Cara Schott hat ein Herz für Tiere, schon immer. „Es ist in meiner Familie Tradition, sich um Tiere und Menschen zu kümmern“, sagt die 40-Jährige. Die ehrenamtliche Leiterin der Hamburger Tiertafel wuchtet eine Palette Hunde-Dosenfutter auf den Tisch. Hier stapeln sich bereits Tüten mit Katzenfutter, Leckerlis, Schonkost, Hundetee. „Leckerlis sind immer der Renner“, sagt die Kosmetikerin.
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Berliner Tiertafel sammelt Spenden
Auch in Berlin rollen in diesen Tagen wieder die Spendenmobile der Berliner Tiertafel durch die Stadt. Ehrenamtliche Helfer sammeln in Fressnapf-Filialen Spenden ein, die sich dort unter den Wunschbäumen dort stapeln. Die Spendenbereitschaft ist hoch, die Not auch.
Seit dem 1. November ist auch das Bürgerbüro der SPD-Abgeordneten und Innensenatorin Iris Spranger an der Köpenicker Straße 25 nahe dem U-Bahnhof Elsterwerdaer Platz eine Annahmestelle für Futtermittelspenden. Tierfutter, Streu, Vogelsand und Kotbeutel oder gut erhaltenes Zubehör wie Näpfe, Decken, Kratzbäume und Leinen werden dort montags, mittwochs und freitags jeweils von 10 bis 13 Uhr entgegengenommen und an den Verein Berliner Tiertafel weitergeben.

Dass es weiterhin hohen Bedarf an Spenden gibt, zeigen die Zahlen: In Berlin hat sich die Nachfrage bei der Tiertafel durch ukrainische Geflüchtete mehr als verdoppelt, 500 Tierhalter benötigten bis Juli eine Erstausstattung, 250 kommen regelmäßig vorbei.
Pro Ausgabe versorgen wir etwa 500 Tiere, so die Tiertafel Berlin. Jeden Monat werden dafür etwa 3,8 Tonnen Futter – hauptsächlich für Hunde und Katzen - benötigt.
Unter den Tieren, die die Tiertafel Berlin versorgt sind Labi, ein Kiewer Großstadthund und ihre Halterin Viktoria. Oder die kleine Hündin Lisa, der russische Name für Fuchs passt perfekt wegen ihres roten Fells. Andrzej und seine Tochter Alexandra haben die Hündin mit nach Berlin gebracht. Leyla, eine 10 Monate junge Hündin aus der Westukraine bekommt hier ebenso Futter. Mit nur drei Monaten kam sie mit Petro und Alla über Polen nach Bernau.
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Die Helfer in der Berliner Zentrale der Tiertafel kennen Halter und Hunde genau. Sie wissen, wie wichtig die tierischen Begleiter für ihre Menschen sind. Holger etwa geht mit seiner Hündin Chanelle durch dick und dünn. Chanelle ist von Geburt an blind, doch schnüffelt und horcht sich beherzt durchs Leben. Dackel Bronka ist ein leidenschaftlicher Würstchen-Liebhaber. Sein Herrchen Frank hat ihn schon als kleinen Welpen adoptiert und ist dankbar für die tierärztliche Unterstützung die er für Bronka erhält.
Futter und Tierarztbesuche für Hunde sind teuer
Wie in Berlin verteilen auch in Hamburg alle zwei Wochen ehrenamtliche Helfer und Helferinnen alles, was Hund, Katze und Nager benötigen – von Futter, Hundeleinen, Transportboxen bis hin zu Spielzeug oder Schlafkörbchen. „Durch Corona und Geflüchtete aus der Ukraine brauchen wir deutlich mehr Futter“, sagt Kara Schott. Zu den Ausgabeterminen kommen zwischen 80 und 120 Menschen. Es werden immer mehr, denn nach pandemiebedingten Kündigungen, Kurzarbeit und steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen sind nun auch die Behandlungen beim Tierarzt teuer geworden: Seit 22. November ist eine neue Gebührenordnung mit teils deutlich höheren Preisen in Kraft.
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Für viele Tafel-Besucher war der Tierarzt schon vorher zu teuer, deshalb gibt es hier auch tierärztliche Hilfe und Spezialfutter. „Besonders ältere und allergische Tiere sind auf abgestimmtes Futter angewiesen“, erklärt Schott.
Tiere auf der Straße: „Das Haustier ist oft der letzte Freund, den es gibt“
Auch Kara Schott kennt viele traurige Geschichten. „Was ich hier miterlebe, berührt mich schon sehr“, sagt sie. Manche verloren ihren Job, sind arbeitsunfähig, obdachlos oder leben von Hartz IV. Oft haben sich Freunde und Familie abgewendet. Ohne ihren Hund würden einige gar nicht aufstehen, aber Waldi müsse nun mal raus: „Das Haustier ist oft der letzte Freund, den es gibt“, weiß Schott. Manchmal ist die Tiertafel auch nur eine Zwischenstadtion. „Wer sich keine Sorgen mehr um sein Tier machen muss, kann für sich nach vorn gucken und findet dann vielleicht auch einen Job“, sagt Schott.
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Andere wie Gabriela Kochbatir haben bereits ihr Leben lang gearbeitet. „Meine Rente reicht einfach nicht“, erzählt die Altenpflegerin, die ehrenamtlich Demenzkranke betreut. Sie benötigt Spezialfutter für ihren zehnjährigen Kater Mikesch. „Er ist mein Ein und Alles“, sagt sie und lacht. Dankbar steckt sie die Futterdosen in ihren Beutel. Hilfe von der Tiertafel bekommt man grundsätzlich nur, wenn das Tier schon vor der Notlage da war. „Wir wollen keine unüberlegten Neuanschaffungen unterstützen“, erklärt Schott entschieden.

Verantwortungslos findet die engagierte Tierfreundin auch, wie teilweise mit Tierfutter umgegangen werde. Die Tiertafel ist auf Spenden angewiesen und braucht dringend Futter. Hier könnten Hersteller und Fachhändler nicht nur an Weihnachten deutlich mehr tun: „Es wird immer schwieriger, an Spenden zu kommen“, sagt Schott. Auf der anderen Seite werde Futter, das gerade abgelaufen sei, einfach vernichtet. Schott: „Tierfutter gehört nicht in den Müll.“
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In Berlin sind die Helfer auch mit einem mobilen Hilfsangebot unterwegs. Jeden Freitag findet um halb sieben eine mobile Futterausgabe hinter dem Bahnhof Zoo statt. Für Menschen ohne Obdach, die mit ihrem Tier auf den Straßen der Stadt unterwegs sind, gibt es dort auch eine selbst gekochte warme Mahlzeit und andere Spenden.
Im März 2021 starteten wir in Kooperation mit der Kubus gGmbH ein Tierarzt-Angebot für obdachlose Tierhalter. An jedem 2. Mittwoch im Monat findet von 13 bis 15 Uhr eine kostenlose Sprechstunde statt. Mehr Informationen dazu findet man unter www.tiertafel.org.