Anna Thalbach: „Wie bewerte ich einen Politiker? Bewerfe ich ihn mit Eiern oder Blumen?“
Die 49-Jährige im Gespräch: Sie ist jetzt in der Komödie am Kurfürstendamm Berlin in der Rolle als „Marie Antoinette“ zu sehen

Anna Thalbach spielt eine der bekanntesten Frauen der europäischen Geschichte – die französische Königin Marie Antoinette. Das Stück feierte am Sonntag Premiere an der Komödie am Kurfürstendamm (im Schiller Theater) und trägt den Untertitel „Kuchen für alle“.
Zur umjubelten Premiere am Sonntagabend kamen auch Tochter Nellie und Mama Katharina Thalbach. Außerdem Katja Riemann, Dieter Landuris, Klaus Wowereit, Friede Springer, Wolke Hegebarth und Edgar Selge. Die Inszenierung des Stücks von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann (Autoren und Regie) fiel derart schrill aus – fast fühlt man sich an die guten alten Zeiten der Berliner Volksbühne unter Frank Castorf erinnert.
Im Gespräch offenbart die 49-jährige Anna Thalbach ihre Vorliebe für Avocados und Baked Beans und erklärt, dass sie lieber auf das Nette und Schöne als auf die Schwächen achtet.
Frau Thalbach, wie ist das bei Ihnen: Gibt es da morgens sonst auch mal Kuchen zum Frühstück?
Nein, es gibt keinen Kuchen. Am liebsten esse ich zum Frühstück Porridge oder Avocado mit pochiertem Ei. Das ist für mich das perfekte Frühstück. Und englisches Frühstück, ich esse gerne Baked Beans. Nur die Würstchen lasse ich weg und die Pilze.
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Haben Sie einen Tipp für gute Baked Beans?
Ich bin da ganz markentreu. Ich nehme die aus der Dose.
Würde Marie Antoinette heute leben – würde sie dann auch Avocadotoast essen?
Das weiß ich nicht. Das bleibt dann doch im Spekulativen. Also so, wie ich sie fühle im Moment – wir sind noch im Prozess, glaube ich, dass Marie Antoinette wahnsinnig abenteuerlustig war. Und ein Genussmensch. Und ich denke, dass sie es zumindest probieren würde. Ob es ihr favourite dish wäre? I don‘t know. Aber ich schätze sie so ein, dass sie gerne isst und schmeckt und das Leben feiert.
Anna Thalbach: Ich möchte von Menschen umgeben sein, die meine schönen Seiten zum Klingen bringen
Wahrscheinlich.
Was die Leute ja immer vergessen, ist, dass sie noch wahnsinnig jung war. Heute haben wir den Umkehrfaktor: Heute werden wir von alten, meist weißen Männern terrorisiert. Und früher waren das ja teilweise Teenager. Wir waren alle selbst mal Teenager und wissen, was das für eine Lebensphase ist. Und dass es kühn ist, Teenagern eine Familie geschweige denn ein Volk anzuvertrauen.
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Oft macht man sich über Marie Antoinette eher lustig. Aber Sie scheinen auch eine liebevolle Beziehung zu ihr zu entwickeln?
Das ist meine Art. Für mich sind die Figuren, die ich spiele, erstmal Freunde. Menschen, die ich kennenlerne. Und ich finde, jeder sollte bestrebt sein, auch die Vorzüge eines anderen hervorzuheben und nicht dessen Schwächen. Das ist für mich ein moralisches Anliegen. Ich möchte auch von Menschen umgeben sein, die meine schönen Seiten zum Klingen bringen und nicht meine hässlichen Seiten herauskitzeln. Ich möchte an Menschen erstmal das Nette, das Schöne, das Starke entdecken. Es langweilt mich, mich auf Schwächen zu fokussieren.

Interessante Sichtweise. In der öffentlichen Diskussion, auch über Politikerinnen und Politiker, läuft es oft eher anders, oder?
Ja, aber in meiner Welt halte ich das für einen falschen Ansatz. Für einen destruktiven und nicht konstruktiven Ansatz. Man muss ja nur von sich selbst ausgehen: Wenn du für etwas gelobt wirst, motiviert dich das, gibt dir ein gutes Gefühl und du kannst andere mit hineinnehmen in dieses gute Gefühl. Es ist immer produktiver zu loben als zu kritisieren.
Die Schauspielerin sagt: Mit Kritik sollte man geizig sein. Das sollte etwas Besonderes sein
Sollte man Politikerinnen und Politiker aktuell auch vorsichtiger beurteilen, etwas mitfühlender?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Das Schwierige am Sprechen über Politik ist, dass wir nur einen kleinen Teil beurteilen können. Und es dadurch in der Bewertung doch bei einer Stammtischmeinung bleibt. Und Stammtischmeinung – „ich gehöre zu Team Rot, ich gehöre zu Team Blau“ – ist auch nicht konstruktiv. Mit Kritik sollte man geizig sein. Das sollte etwas Besonderes sein. In diesen Zeiten ist es doch interessanter, wenn man nicht fragt: „Wie bewerte ich einen Politiker? Bewerfe ich ihn mit Eiern oder Blumen?“, sondern: „Was kann ich tun? Wie kann ich mich beteiligen?“
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Wenn Sie sagen, mit Kritik sollte man geizig sein: Gibt es Situationen im Alltag, wo Sie sich öfter Kritik verkneifen?
Ich muss das voll üben. Ich bin megakritisch. Das kann schon bei Schuhen anfangen. Es ist immer die Frage, wann es angebracht ist. Und man muss wissen, in welchem Umfeld. Ob man mit Leuten privat ist, die einen kennen, wo man einfach mal nicht nachdenken will. Aber es gibt Situationen, wo man sich das klemmen kann. Wo ich immer denke: „Kannst du in dein Tagebuch schreiben.“
Haben Sie eins?
Nein (lacht). Aber in mein imaginäres dann.
Warum ist es eine gute Zeit, sich mit Marie Antoinette zu beschäftigen?
Marie Antoinette ist ein Platzhalter in dem Fall. Wir halten uns ja nicht wirklich an die historischen Fakten. Es ist kein „Terra X“-Stück, um sich weiterzubilden. Aber um das Interesse zu wecken, ist es superb. Und ich denke, auch Leute, die sich mit der Französischen Revolution auskennen, werden die Diskurse lieben. Das Stück ist ein Nährboden, um über viele Themen philosophieren zu können - über Macht und Machterhalt, über die Verantwortlichkeit der Freiheit. Freiheit heißt ja nicht: „Ich kann machen, was ich will.“ Freiheit entbindet dich nicht von der Verantwortung für alles andere Leben, das es außer dir noch gibt.
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Was sind Momente, in denen Sie Freiheit leben?
Freiheit lebe ich im Privaten. Da habe ich meine Familie, meine Tochter, meine Freunde. Und ich weiß, dass ich - so wie ich hier leben darf - eine freie Frau bin. Ich habe mein Geld immer ohne Mann verdient, komme aus einem Matriarchat. Meine Tochter ist 27 und ich bin entzückt über die neofeministischen Ansätze der jungen Frauen. Ich empfinde es als frei, dass ich rauchen darf. Dass ich Alkohol trinken darf, wenn ich möchte. Ich darf die Musik hören und die Bücher lesen, die ich möchte. Ich darf mich anziehen, wie ich will. Das empfinde ich schon mal Freiheit. Und ich habe einen Beruf, der mich vom Gleichklang befreit, weil ich ein neues Abenteuer begehe mit jedem neuen Hörbuch, jeder neuen Lesung, mit jedem neuen Theaterstück, mit jedem Drehtag, selbst mit jeder neuen Gameshow.