Zu viele Patienten, zu wenige Pflegekräfte
Angriffe auf Pflegekräfte: Gewalt im Berliner Maßregelvollzug eskaliert
„Die Senatorin hat keine Ahnung, auf welchem Pulverfass sie sitzt.“ Klinikleitung soll laut RBB24 Fälle verschweigen.

Patienten gehen mit Brotmessern auf Mitarbeiter los, Angriffe gab es auch durch die Versorgungsklappen in Isolationszimmern. Heute Abend berichtet die „RBB24 Abendschau“ (5. Juli, 19.30 Uhr) über zunehmende Gewalt im Berliner Maßregelvollzug. In den Maßregelvollzug kommen Straftäter, wenn ein Gericht sie als psychiatrisch auffällig oder suchtkrank einstuft. Vorwurf des Personalrats: Die Verantwortlichen der Klinik verschweigen die Eskalation der Gewalt gegenüber der zuständigen Senatsverwaltung für Gesundheit.
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Alte dunkle Backsteinbauten, mit durchsichtigen Plexiglas-Zäunen abgeschirmt, mit Stacheldraht, vergitterten Fenstern, Videokameras und Scheinwerfern gesichert: Das Krankenhaus des Berliner Maßregelvollzugs befindet sich auf einem gesicherten Gelände hinter dem U-Bahnhof Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf. Auf dem Areal gibt es insgesamt 17 Stationen, hinzu kommen drei Stationen am Klinik-Standort in Berlin-Buch.
Der KURIER berichtete schon im März, dass das Krankenhaus chronisch überlegt ist. Über 600 Patienten sind hier untergebracht – genehmigt sind nur 541 Betten. Die durchschnittliche Unterbringungsdauer von sieben Jahren verbringen die meisten Menschen zudem größtenteils in Mehrbettzimmern. Zeitweise kamen fünf Menschen in Zimmern für drei Personen unter, berichtet RBB24.
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Immer mehr Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen
Zu den stationär in Reinickendorf und Buch untergebrachten Patienten kommen weitere rund 200, die in Sondereinrichtungen des Krankenhauses oder in Einrichtungen des ambulanten dazugehörigen Versorgungssystems untergebracht sind.
Eine Enge, die zu immer mehr Konflikten mit den psychisch kranken Patienten führt. Meldungen körperlicher Gewalt mit psychischen Folgen für Beschäftigte sollen im vergangenen Jahr massiv zugenommen haben. Gab es 2019 nur 138 Konfliktmeldungen durch das Personal, wurden laut Personalrat im vergangenen Jahr schon 712 Fälle registriert. Eine Steigerung um das Fünffache.

Dabei geht es hauptsächlich um Sachbeschädigungen (122), Bedrohungen (118) und Beleidigungen (111). Der Personalrat des Maßregelvollzugs berichtet aber auch von Körperverletzungen (94), versuchten Körperverletzungen (55) und sexuellen Übergriffen auf Pflegekräfte.
Schwerwiegender Vorwurf des Personalrates: Laut RBB24 wurden im vergangenen Jahr 103 Vorfälle der Senatsverwaltung für Gesundheit als Dienstaufsicht nicht gemeldet, die „vom beabsichtigten Betriebsablauf erheblich abweichen“ und deshalb meldepflichtig seien. Unter anderem sei das nach gewalttätigen Übergriffen von Patienten gegen Beschäftigte der Fall gewesen. Die klinikinterne Dokumentation kritischer Vorfälle sei lückenhaft, die Ärzte, die für die Dokumentation zuständig seien, hätten ein Interesse, einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Zeitweise sind nur zwei Pflegekräfte für 45 Patienten zuständig
Gegenüber dem RBB erklärt ein Sprecher der zuständigen Senatsverwaltung: „Eine gestiegene Zahl nicht gemeldeter Vorkommnisse ist nicht bekannt.“ Für die Krankenhausleitung bestehe aber „keine Veranlassung“, der Dienstaufsicht solche Vorfälle vorzuenthalten.
Lockerungen sollen in einigen Fällen zu lax gehandhabt werden, nach Aussagen von Fachkräften sollen zunehmend instabile Patienten mit schweren Psychosen in offenere Einrichtungen verlegt worden sein. „Wenn Patienten nur unter hochdosierten Medikamenten einen stabilen Eindruck machen, sind Lockerungen riskant“, erklärt eine Psychotherapeutin gegenüber RBB24. „Daran spürt man, es gibt einen hohen Druck, die Patienten zu verlegen. Wir kennen Patienten, die zweimal in Begleitung im Park waren und damit als erprobt galten. Die Frage ist nicht ob, sondern wann das schiefgeht. Die Gesundheitssenatorin weiß nicht, auf welchem Pulverfass sie sitzt.“
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Nicht nur die Überbelegung des Maßregelvollzugs ist ein Problem, sondern auch der Personalmangel. In der Psychiatrie sollen zeitweise zwei Pflegekräfte für bis zu 45 Patienten zuständig sein. Der Personalratsvorsitzende sagt zu RBB24: „Wir fühlen uns von der Berliner Politik und der Gerichtsbarkeit im Stich gelassen.“ Insgesamt waren laut Personalrat im vergangenen Jahr 111 Stellen unbesetzt. Es fehlen unter anderem 90 Pflegekräfte und neun Ärzte.
Bis zum Jahr 2025 sollen auf dem Gelände der bestehenden Einrichtung in Reinickendorf 60 neue Vollzugsplätze entstehen.