Auf der Suche nach Ruhe? Angeln Sie sich die Natur!
Immer mehr Berliner versuchen, der corona-gestressten Großstadt zu entkommen. So manche greifen dabei zur Rute – wie KURIER-Reporter Norbert Koch-Klaucke.

Das hektische Leben in der Großstadt: Es gab Zeiten, da habe ich es geliebt. Das Berliner Leben mit seinen aufregenden Kneipen, den Clubs, seinen Theatern und den Menschen mit ihrer typischen Schnauze. Doch diese hat inzwischen ihre Herzlichkeit verloren, vor allem, seit dem das Corona-Virus den Takt der Hauptstadt bestimmt. Die Berliner sind merklich genervter als früher. Ob beim Einkaufen, in den S- und U-Bahnen, selbst beim harmlosen Bummeln durch die Straßen spürt man es: Der Umgangston ist in dieser Stadt, wie auch schon im KURIER berichtet, aggressiver geworden. Ein normaler Umgang miteinander scheint momentan unmöglich zu sein. Ich merke es bei mir selbst. Schon ein Radfahrer, der auf dem Gehweg statt auf dem Radweg fährt, bringt mich auf die Palme. Ein Fluch meinerseits, ein Stinkefinger als Antwort – ich will dann nur noch weg aus dieser Stadt!
Kein Wunder, dass sich in diesen Zeiten immer mehr Berliner nach der Natur sehnen, um dort, fern der Großstadt-Hektik, endlich Ruhe und Entspannung zu finden. Mein Weg ist es, einfach angeln zu gehen, um herunterzukommen. Glauben Sie mir, es hilft wirklich. Man sagt ja uns Petri-Jüngern nicht umsonst nach, es könne sie beim Fischfang an einem Fluss oder an einem See nichts aus der Ruhe bringen.

Normalerweise fahre ich einmal im Jahr mit meiner Frau nach Norwegen, wo wir die Stille der wunderbaren Fjord-Landschaft genießen, die Kraft der Natur tanken und nebenbei versuchen, einen Dorsch oder einen Seelachs an den Haken zu bekommen. Nichts geht über ein Abendbrot, das man mit einem selbstgefangenen Fisch zubereitet.
Da aktuell wegen Corona solche Angeltouren in Norwegen nicht möglich sind, versuche ich mein Angler-Glück wieder in der Heimat, an einigen der über 300 Seen, die vor den Toren Berlins liegen. Meistens geht es zu einem Gewässer in der Uckermark. Wenn ich dann das Boot besteige, das ich mir vor Ort beim Fischer geliehen habe, und auf den See hinausfahre, ist der ganze Großstadtstress wie weggeblasen.
Man sitzt da auf dem Kahn, wirft mit der Rute die Angelschnur samt Köder hinaus ins Wasser. Während ich warte, dass ein Fisch anbeißt, erlebe ich Dinge, für die es sich allein schon lohnt, da draußen zu sein, egal ob man am Ende des Tages einen Fang gemacht hat oder nicht. Zum Beispiel zu beobachten, wie ein Fischadler sich in die Lüfte schwingt, um auf Jagd zu gehen. Wie Biber an der Uferböschung herumschwimmen oder einfach aus der Ferne nur den Ruf der Kraniche zu hören. Das ist Balsam für meine gestresste Großstadtseele.
Die Sehnsucht nach der Natur, das Einswerden mit ihr, vielleicht funktioniert das nur beim Angeln. Nicht umsonst gehen viele Berliner und Brandenburger mittlerweile dieser Freizeitbeschäftigung nach. Im Schnitt begeben sich jährlich 25.000 Frauen und Männer allein an den Gewässern der Hauptstadt auf Fischfang.

Insgesamt sind über 94.000 Berliner und Brandenburger in 1400 Angel-Vereinen organisiert. Bundesweit sind es mittlerweile fünf Millionen registrierte Frauen und Männer, die mit der Angelrute hinaus in die Natur ziehen. Von der wachsenden Leidenschaft der Hobby-Fischer profitieren auch der Handel, Angelhersteller und die Touristikbranche. „In Deutschland hängen 52.000 Arbeitsplätze bei einer Wirtschaftskraft von 5,2 Milliarden Euro vom Angeln ab“, schätzen Experten.
Für mich ist oft abends der schönste Moment, um auf einem See Hecht, Barsch und Co. aufzuspüren, die zu diesen Zeiten gerne nach dem ausgeworfenen Köder des Anglers schnappen. Ich liebe den Augenblick, wenn die von uns Petri-Jüngern so genannte blaue Stunde anbricht. Wo die untergehende Abendsonne sich rötlich im Wasser spiegelt, es bereits zu dämmern anfängt, der Himmel sich zu einem fast unbeschreiblichen Blau zu verfärben beginnt.

Und dann diese unbeschreibliche Stille auf dem Wasser. Ein Erlebnis, von dessen Ruhe und Kraft man noch Tage später im corona-gestresstem Berlin zerren kann. Wenn dann noch ein Hecht anbeißt, kann mich danach erst einmal kein Gehweg-Radfahrer mehr so schnell auf die Palme bringen.