Freude und Trauer in der Waldbühne
Angelika Mann: Beim Rolling-Stones-Konzert feierte sie für ihren toten Bruder mit
Seine Liebe zu der britischen Kultband und ein Radio-Gerücht brachten Eckart Mann 1969 in den DDR-Jugendknast.

In der Waldbühne ist es unerträglich heiß. Nicht nur der Temperaturen wegen. Es sind die Rolling Stones, die an diesem Mittwochabend bei ihrem Abschlusskonzert der Jubiläumstour „Sixty“ die Berliner zum Kochen bringen. Unter den 20.000 jubelnden Fans ist auch DDR-Sängerin Angelika „Lütte“ Mann (73). Für sie ist das Konzert ein ganz besonderes. „Ich feiere hier für meinen verstorbenen Bruder Ecki mit. Seine Liebe zu den Stones wurde ihm in der DDR zum Verhängnis und brachte ihn in den Knast“, sagt sie dem KURIER.
Die Lütte hat einen Platz auf den oberen Rängen, jubelt, singt beim Stones-Hit „Honky Tonk Woman“ lauthals mit. „Die Show war herrlich, Gänsehaut pur, einfach unvergesslich. Und Mick Jagger war sooo charmant“, sagt sie. „Wie er mit den Jungs fast zweieinhalb Stunden bei dieser Hitze ohne Pause durchspielte – Respekt!“
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Angelika Mann: Ein Gerücht über ein Stones-Konzert wurde ihrem Bruder zum Verhängnis
Doch bei der Sängerin mischt sich in den Jubel auch Trauer. Sie gedenkt ihrem Bruder Eckart Mann, der 2019 im Alter von 66 Jahren starb und am 7. Oktober 1969 in den Knast kam. Damals hatte im Radio RIAS-Moderator Kai Bloemer aus Spaß erzählt, dass zum 20. DDR-Jahrestag die Stones auf dem Dach des Springer-Verlagshauses nahe der Mauer spielen würden. Obwohl der Sender den Gag zurücknimmt, ziehen Tausende DDR-Jugendliche zum Spittelmarkt, um von der Ostseite die Kultband zu hören, die natürlich nicht kam.

Angelika Mann war damals 20, hatte ihre ersten Auftritte. „Mein Bruder war 16, wollte an diesem Tag unbedingt die Stones an der Mauer hören. Obwohl unsere Mutter und ich ihm abrieten, war er nicht zu bremsen, ging dorthin. Er liebte die Stones.“ Angelika Mann folgte ihrem Bruder, wollte ihn nach Hause holen. „Aber ich fand ihn in der Menge nicht mehr.“ Ohne Bruder geht sie heim.

Auf dem Platz hatten sich in die Fan-Menge auch FDJ-Gruppen gemischt. „Die Stimmung war aggressiv“, sagt die Lütte. Die FDJler gingen zwischen die Jugendlichen, einige schlugen auf die Stones-Fans ein. Auch Stasi und Polizei sind da. Laut den Unterlagen werden 430 Jugendliche festgenommen und mit Lkws abtransportiert – darunter Eckart Mann.
Lüttes Bruder: Wie ein Verbrecher wurde er in den Gerichtssaal geführt
„Meine Mutter ging an dem Tag zur Polizei, weil man Bruder nicht nach Hause kam. Man sagte ihr nichts. Es dauerte eine Woche, bis wir erfuhren, wo Ecki war“, sagt Angelika Mann. „Unser ABV (Abschnittsbevollmächtigter, d. Red.) kam, und erklärte, dass er im berüchtigten Polizeigefängnis Keibelstraße am Alex ist. Ich ging dort wutentbrannt hin, forderte beim Pförtner, dass ich meinen Bruder sehen will und man ihn freilassen soll. Natürlich hatte ich keinen Erfolg.“
Die Lütte hat noch immer den Haftbefehl ihres Bruders. Darin wird Eckart Mann beschuldigt, an einer Zusammenrottung teilgenommen, DDR-Volkspolizisten beschimpft und deren Anweisungen nicht unverzüglich Folge geleistet zu haben. Der Passus, dass er auch noch den Vorsitzenden des DDR-Staatsrates (damals Walter Ulbricht) verleumdet hätte, wurde durchgestrichen.

Es kommt zum Prozess. „In Handschellen hatte man meinen 16-jährigen Bruder wie einen Verbrecher in den Gerichtssaal gebracht“, sagt die Lütte. „Zwei bis drei Jahre Jugendhaft bekam er, das Urteil stand bereits fest.“
Eckart Mann kommt in die berüchtigte Jugendhaftanstalt Dessau. Aus Berichten ehemaliger Inhaftierten weiß man, dass dort die Jugendlichen misshandelt, einige sogar sexuell missbraucht wurden. Drill, Isolationshaft, Prügel waren an der Tagesordnung. „Auch Ecki hatte dort Schlimmes erlebt, nur er sprach mit meiner Mutter und mir nie darüber. Nur weil mein Bruder die Stones hören wollte, musste er dies alles durchmachen.“
1971 wurde der Bruder von Angelika Mann von der Bundesrepublik freigekauft. Im Westen Berlins arbeitete er als Taxi- und später als Busfahrer, machte nebenbei Musik. Die Stones blieben seine Helden.