Berlin-Wahl muss komplett wiederholt werden, voraussichtlich am 12. Februar
Der Berliner Verfassungsgerichtshof: Die Wahl für Abgeordnetenhaus und Bezirksparlamente muss komplett wiederholt werden. Schuld sind zahlreiche Pannen am Wahltag im Herbst 2021.

Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat entschieden: Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksparlamenten vom September 2021 müssen flächendeckend wiederholt werden. Die Wahlen aus dem September 2021 wurden wegen zahlreicher Pannen für ungültig erklärt. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte, der Senat werde keine Beschwerde gegen das Urteil einlegen, und es werde diesmal eine reibungslose Wahl geben. Das wird am 12. Februar sein, sagte Landeswahlleiter Stephan Bröchler.
Berlin-Wahl wird wiederholt: Schwere der Fehler zu groß
„Die verbundenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen werden im gesamten Wahlgebiet für ungültig erklärt“, sagte die Präsidentin des Gerichtshofs, Ludgera Selting, am Mittwoch bei der Entscheidungsverkündung. Dies sei „wegen Häufigkeit und Schwere der Wahlfehler erforderlich“.
Die Wahlen am 26. September vergangenen Jahres waren von zahlreichen Pannen geprägt gewesen. Stimmzettel fehlten, Wahllokale wurden vorübergehend geschlossen oder blieben länger geöffnet, Wähler konnten ihre Stimme nicht abgeben.
Beim Verfassungsgerichtshof gingen deshalb zahlreiche Beschwerden gegen das Wahlergebnis ein. Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksversammlungen müssen nach der Entscheidung nun innerhalb von 90 Tagen wiederholt werden, mit genau den gleichen Kandidaten und Listen.

Als Beispiele für Wahlfehler nannte Gerichtspräsidentin Selting falsche, fehlende oder eilig kopierte Stimmzettel, zu wenige Wahlurnen, die zeitweise Schließung von Wahllokalen sowie lange Schlangen davor mit Wartezeiten von mitunter mehreren Stunden. In rund der Hälfte der 2256 Wahllokale stimmten Wähler noch nach 18 Uhr ab, als schon die Hochrechnungen bekannt waren.
Das Gericht nannte einige Zahlen als Beleg für seine Entscheidung: So hätten allein bei der Zweitstimme, die über die Stärke einer Partei im Abgeordnetenhaus entscheidet, mindestens 20.000 Menschen ihre Stimmen nicht abgeben können. Der AfD hätten demnach bereits 2000 Stimmen mehr einen weiteren Sitz im Abgeordnetenhaus gebracht, den Grünen fehlten 10.000 Stimmen für einen weiteren Sitz. 88 von 147 Parlamentssitzen seien von „mandatsrelevanten“ Wahlfehlern betroffen.
Der klare KURIER-Kommentar: Wahlwiederholung angeordnet – ein Tritt ans Schienbein>>
CDU und AfD reagieren mit Häme auf das Urteil
Von der Opposition gab es Häme für die rot-rot-grüne Berliner Regierung, die vor der Wahl im Amt war (jetzt ist sie rot-grün-rot). „Das Urteil zum Berliner Wahlchaos ist der absolute Höhepunkt rot-rot-grünen Scheiterns. Es ist ein Tiefpunkt für das Ansehen Berlins in Deutschland und der Welt. Es ist eine schwere Niederlage für Frau Giffey und ihren Senat“, erklärte der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers. Die Landesvorsitzende der AfD, Kristin Brinker, machte den Senat direkt für das Wahlchaos verantwortlich und sprach von einer „zweiten Chance“ für Berlin.
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Bundes-CDU fordert den Kopf von Senator Andreas Geisel (SPD)
Mario Czaja, Generalsekretär der Bundes-CDU, forderte personelle Konsequenzen. Es sei unverständlich, dass der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) immer noch Senatsmitglied sei, jetzt für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung zuständig. Czaja: „Unter seiner Amtsführung wurde diese Wahl organisiert. Und wir wissen, dass diese Fehler auch schon in der Vorbereitung, nicht nur in der Durchführung lagen. Es ist eine Farce, so ein Chaos zu verantworten und dann weiter im Amt zu bleiben.“
Linke-Vorsitzende Katina Schubert bezeichnete die Entscheidung des Verfassungsgerichtes als „krasses Urteil“. „Es gab sehr deutliche Kritik am Organisationsversagen der Innenverwaltung“, sagte sie. Nun müsse alles dafür getan werden, dass sich Derartiges nicht wiederhole. Schubert machte deutlich, dass ihre Partei nach der erneuten Abgeordnetenhauswahl die Koalition mit SPD und Grünen gerne fortsetzen wolle.
Linke und Grüne nehmen die SPD-Innensenatorin in die Pflicht
Auch die Berliner Grünen forderten, es dürfe nicht erneut zu Fehlern kommen. „Diesmal muss alles funktionieren“, so die Landesvorsitzenden Philmon Ghirmai und Susanne Mertens. „Die Innensenatorin trägt hierfür die politische Verantwortung. Handwerkliche Fehler darf sich Berlin bei der Wiederholungswahl nicht mehr leisten.“
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte, die Vorbereitungen für die Wiederholung der Wahl hätten frühzeitig begonnen. „Bereits seit dem Sommer setzen wir die Empfehlungen der Expertenkommission Wahlen um“, sagte sie. „Alle Beteiligten wissen, worauf es ankommt und arbeiten eng und konstruktiv zusammen.“
Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh bezeichnete den Beschluss des Verfassungsgericht als „weitreichende Entscheidung“, mit der nun „respektvoll umzugehen“ sei. „Das Abgeordnetenhaus und der Senat werden bis zur Wahlwiederholung im Interesse der Berlinerinnen und Berliner konzentriert weiterarbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass in der größten Krise seit Jahrzehnten infolge des russischen Angriffskrieges die Menschen in der Stadt ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ihre Wohnung behalten und sie heizen können.“ Daran müssten sich alle Parteien messen lassen.
Das forderte auch IHK-Präsident Sebastian Stietzel. Die Berliner Politik müsse weiterhin das Beste für die Stadt geben. „Stillstand kann sich Berlin nicht leisten“, ließ er sich zitieren. Es brauche eine entschlossene Politik, die „nicht in ideologische Grabenkämpfe oder Wahlkampfgetöse abgleitet“.
Christian Amsinck, der Geschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände, befürchtet nun einen Stillstand bis zur Wiederholung der Wahl. „Angesichts der tiefen Krise müsste die Politik alle Kraft darauf konzentrieren, Gesellschaft und Unternehmen durch diese schwere Zeit zu bringen. Stattdessen beschäftigt sich die Politik mit sich selbst“, kritisierte er. „Wir erwarten von den politischen Parteien in diesem Wahlkampf konkrete Antworten auf diese drängenden Fragen.“
Berliner Abgeordnetenhaus bleibt handlungsfähig, sagt sein Präsident
Dennis Buchner, der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, stellte derweil klar, dass das bestehende Parlament bis zur Neuwahl handlungsfähig bleibe. „Der Verfassungsgerichtshof hat heute auch klar gestellt, dass alle Rechtsakte des Berliner Abgeordnetenhauses gültig sind“, so Buchner. Die Handlungsfähigkeit des Parlaments sei „in Zeiten multipler Krisen und ihrer Folgen für die Berliner Bevölkerung zwingend notwendig“.
Die Berliner Entscheidung ist nicht unumstritten – auch in den Reihen des Gerichtshofs. Das Urteil sei mit 7:2 Stimmen ergangen, teilte Präsidentin Selting mit. Etliche Politiker und Rechtsexperten hatten in den vergangenen Monaten für eine Teilwiederholung plädiert.
Was mit der Bundestags-Wahlwiederholung in Berlin wird, ist noch nicht sicher
In diese Richtung läuft es bei der Bundestagswahl. die auch von dem Debakel betroffen war: Der Bundestag beschloss in der vergangenen Woche mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen, dass sie nur in in 431 der 2256 Berliner Urnen- und Briefwahlbezirken wiederholt werden muss. Die Fraktionen gehen aber davon aus, dass der Beschluss vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten wird.