Mit rasender Geschwindigkeit über den Gehweg

Horror in Berlin: SEK-Einsatz in Totraser-Wohnung +++ Auto gezielt in Menschengruppe gesteuert +++ Eine Frau stirbt, 20 verletzt, mehrere in Lebensgefahr +++ Rätsel um „Bekennerschreiben“!

Gnadenlose Raser-Angriff auf unschuldige Passenten: Die Tat des 29-Jährigen gibt weiter Rätsel auf.

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Schwerer Unfall in der City-West. Ein Mensch wurde getötet.
Schwerer Unfall in der City-West. Ein Mensch wurde getötet.AP/Michael Sohn

Angriff auf Ahnungslose: Am Mittwochvormittag in der Nähe der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz und Europacenter stirbt eine Frau, zwanzig Menschen werden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Der Fahrer, ein 29-jähriger Deutsch-Armenier aus Berlin, wird festgenommen. Plakate mit Türkei-Bezug wurden in seinem Auto gefunden. Doch ein Bekennerschreiben sei das nicht, so Berlins Innensenatorin. In der Wohnung des Totrasers sucht die Polizei mit Unterstützung eines Spezialeinsatzkommandos nach weiteren Beweisen.

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Auch einen Tag nach dem tödlichen Raser-Crash ist noch nicht vollständig aufgeklärt, was da am Mittwochvormittag am Berliner Tauentzien, nahe der Gedächtniskirche und dem Breitscheidplatz passiert ist. Mit Unterstützung eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) durchsuchte die Polizei die Wohnung des Fahrers Gor H., bestätigte ein Polizeisprecher.

Bis in die Nacht sichern Beamte Beweise, um irgendwann die Straße wieder für den Verkehr freizugeben. Doch auch am Donnerstag werden die Ermittler die entsetzliche Tat rekonstruieren. Die Bilanz am am Abend lautet: Eine Tote, rund 20 zum Teil lebensgefährlich Verletzte. Eine konkrete Zahl könne wegen der dynamischen Lage aber weiter nicht genannt werden, hieß es. Neben der getöteten Lehrerin aus Hessen gebe es derzeit kein weiteres Todesopfer. Viele Menschen seien in psychologischer Betreuung.

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Nach der Raser-Fahrt beschrieben Zeugen unseren Reporter vor Ort die Spuren des gewaltigen Einschlags: Gegenstände liegen auf der Fahrbahn. Ein Flipflop-Schuh, zerfetze Schilder, die Stühle eines Cafés sind zusammengeschoben. Bilder des Chaos gehen am Mittwoch um die Welt. Auf Videos, die das Geschehen zeigen, sind gellende Entsetzensschreie vor der Gedächtniskirche zu hören, Menschen liegen auf der Straße, Passanten, leisten erste Hilfe. „Halt durch!“, sagen sie einem Verletzten.

Verwirrung um Bekennerschreiben: Ermittlungen in alle Richtungen

Ein Bild zeigt, wie mitten auf der Straße eine blaue Decke einen Körper bedeckt. Die herumliegenden Utensilien der Notfallretter zeugen noch davon, dass sie hier versucht haben, ein Menschenleben zu retten. Vergeblich.

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Ein wohl vorsätzlicher Angriff auf ahnungslose Menschen, die an einem Sommertag in Berlin auf der beliebten Einkaufmeile unterwegs waren, hat die Stadt erschüttert. Die Untersuchungen zu dem Geschehen am Tauentzien in der Nähe des Breitscheidplatzes laufen auf Hochtouren, am Nachmittag berichteten Medien, es sei ein Bekennerschreiben im Auto des mutmaßlichen Amokfahrers gefunden worden. Die Polizei wollte das zunächst weder bestätigen noch dementieren. Im Auto wurden laut Innensenatorin Spranger vielmehr Plakate mit Bezug zur Türkei gefunden, twittert ein Reporter des Bayrischen Rundfunks. „Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht“, sagte sie am Mittwoch nach einem Besuch am Ort des Geschehens. Zu weiteren Einzelheiten machte die Innensenatorin zunächst keine Angaben. „Wir müssen in alle Richtungen ermitteln“, betonte Spranger.

Die Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei sind belastet, die Türkei erkennt den Völkermord an Armeniern nicht an, verhängte Wirtschaftssanktionen unter denen Armenien bis heute leidet. Viel deutet auch darauf hin, dass der Täter psychische Probleme hatte.

Tatverdächtiger befindet sich im Krankenhaus

Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach von einem „Tatverdächtigen“, der sich nun im Krankenhaus befinde. Im Moment gebe es keine einschlägigen Erkenntnisse zu einer politischen Motivation. Von einem zufälligen Unfall war in den Stellungnahmen nicht die Rede.

In der Nähe der Berliner Gedächtniskirche ist ein Auto in eine Menschengruppe gefahren.
In der Nähe der Berliner Gedächtniskirche ist ein Auto in eine Menschengruppe gefahren.dpa/ Paul Zinken

Was genau an diesem Vormittag geschah, und vor allem warum, wird weiter aufgearbeitet. Klar ist bisher, dass ein Mann gegen 10.26 Uhr seinen Renault-Kleinwagen an der Straßenecke Ku'damm und Rankestraße auf den Bürgersteig des Ku'damms gegenüber der Gedächtniskirche in eine Menschengruppe lenkte. Dann fuhr er der Polizei zufolge zurück auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstraße Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Straße lenkte er den Wagen erneut von der Straße auf den Bürgersteig, touchierte ein anderes Auto, überquerte die Marburger Straße und landete im Schaufenster eines Douglas-Geschäfts.

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Auf seiner Fahrt verletzte der Fahrer des Clio mindestens zwölf Personen, neun davon sind schwer verletzt, sechs schwebten in Lebensgefahr. Wie die Behörden in Berlin und Wiesbaden mitteilten, handelte es sich dabei größtenteils um Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte einer Schule im hessischen Bad Arolsen. Die Zehntklässlerinnen und -klässler waren auf Klassenfahrt.

Lehrerin aus Hessen getötet, Kollege schwer verletzt, Schülerinnen schwer traumatisiert

Eine 51-jährige Lehrerin, die mit einer Schülergruppe aus Hessen unterwegs war, starb noch am Fußgängerüberweg  an der Rankestraße nach dem Zusammenprall mit dem Auto. Das bestätigte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Die 10. Klasse mit der die Lehrerin und ein Kollege, der ebenfalls schwer verletzt ist, unterwegs war, kommt aus dem nordhessischen Bad Arolsen (Landkreis Waldeck-Frankenberg). An der dortigen Kaulbach-Schule tagt ein Krisenstab.

Hessens Kultusminister Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz sagte: „Wir haben umgehend Notfallbetreuungsteams nach Bad Arolsen geschickt, um den Angehörigen, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den Lehrkräften beizustehen. Ein Team aus der Schule ist auf dem Weg nach Berlin, um den Jugendlichen vor Ort sowie ihren Eltern zur Seite zu stehen. Neben der Aufklärung dieses Vorfalls ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler über die traumatischen Erlebnisse sprechen können.“

Augenzeugen in Berlin berichten von hohem Tempo

Jamil Ahmad Akbari hatte gerade einen Termin bei der Sparkasse, wollte zur U-Bahn gehen und sah den Unfall unmittelbar an der Rankestraße: „Das war 100 prozentig Absicht“, sagte er dem KURIER. Der Fahrer sei ein junger Mann mit Basecap gewesen. Er selber habe sich dann um die Verletzten gekümmert, eine Frau habe nicht mehr geatmet.

Auto fährt auf den Gehweg an der Rankestraße

Ein weiterer Autofahrer, auf dem Tauentzien Richtung Wittenbergplatz unterwegs, sah den Renault im Rückspiegel heranrasen, schätzte die Geschwindigkeit auf weit über 100 Stundenkilometer.

Einsatzkräfte am Unfallort. Ein Auto ist in der Nähe der Gedächtniskirche in Berlin in eine Personengruppe gefahren.
Einsatzkräfte am Unfallort. Ein Auto ist in der Nähe der Gedächtniskirche in Berlin in eine Personengruppe gefahren.dpa/Fabian Sommer

Zwischen der ersten Unfallstelle an der Rankestraße und dem Ende der Fahrt in der Schaufensterscheibe der Douglas-Filiale an der Marburger Straße liegen mehrere hundert Meter.

Nachdem der Fahrer in das Schaufenster gerast war, wurde er von Passanten festgehalten, und schließlich von der Polizei festgenommen. Er wird nun vernommen. Bei dem Mann handelt es sich laut Polizeiangaben um einen in Berlin lebenden Deutsch-Armenier, der wegen Eigentumsdelikten der Polizei bekannt sein soll.  Gor H. lebt mit seiner Schwester und der Mutter in Charlottenburg, der Schwester soll auch der Renault Clio gehören. Weil der Fahrer keine Papiere bei sich hatte, wurde er bei der Bundespolizei am Zoo erkennungsdienstlich behandelt. Die Bundespolizei verfügt über sogenannte Fast-ID-Geräte, mit denen Fingerabdrücke elektronisch erfasst und mit einem bundesweiten Datensystem abgeglichen werden.

Der Vorfall ereignete sich an der Kreuzung Rankestraße und weiter entlang des Tauentzien bis zur Marburger Straße.
Der Vorfall ereignete sich an der Kreuzung Rankestraße und weiter entlang des Tauentzien bis zur Marburger Straße.dpa / A. Brühl

Zeugen werden in der Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz befragt

Nach dem  Vorfall sicherten mehrere schwer bewaffnete Polizisten zunächst die Umgebung. Das Europacenter wurde vorsorglich begangen. Auch 60 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Ein Rettungshubschrauber landete auf dem Tauentzien. Nach dem Unfall kreiste ein weiterer Hubschrauber über der City-West. In der Gedächtniskirche wurden unterdessen Zeugen befragt.

Augenzeugen berichteten den KURIER-Reportern aufgewühlt von Verletzen auf der Straße und von einem halsbrecherischen Tempo, mit dem der Fahrer unterwegs gewesen sei. Viele können das Erlebte nur schwer in Worte fassen. Erst nachdem der Fahrer ein anderes Auto gerammt habe, sei er in das Schaufenster gerast, sagt einer. Überall hätten Verletze gelegen, so ein Mitarbeiter eines nahe gelegenen Cafés.

Einsatzkräfte am Unglücksort.
Einsatzkräfte am Unglücksort.AFP/Odd ANDERSEN

Auch die Berliner Politik meldete sich schnell zu Wort und zeigte sich bestürzt: Innensenatorin  Iris Spranger (SPD) teilte auf Twitter mit: „Ich bin schockiert über den Vorfall in Charlottenburg. Meine Gedanken und mein tiefes Mitgefühl sind bei allen Betroffenen.“

Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) äußerte sich: „Ich bin tief betroffen von diesem Vorfall. Wir wissen, dass es eine Tote gibt und mehrere Schwerverletzte. Die Polizei arbeitet mit Hochdruck an der Aufklärung.“ Es sei eine Situation, in der man denke: „Nicht schon wieder“. Giffey warnte zugleich vor voreiligen Schlüssen. Am Nachmittag waren beide Frauen bei den Einsatzkräften vor Ort. Dabei sagte Giffey  den Betroffenen Unterstützung zu. „Wir werden alles dafür tun, den Betroffenen zu helfen.“ Ebenso werde alles dafür getan, den Hergang aufzuklären. „Wir wissen, dass wir eine Tote und zehn Schwerverletzte haben.“ Jetzt sei es erstmal wichtig, dass die Verletzten versorgt würden.  Zudem bräuchten die Angehörigen, die unter Schock stünden, Hilfe und Beistand.

Der Clio raste über den Gehweg in ein Schaufenster.
Der Clio raste über den Gehweg in ein Schaufenster.AFP/Odd ANDERSEN

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Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich bestürzt. „Meine Gedanken sind bei den schwer und sehr schwer Verletzten, bei dem Todesopfer“, erklärte er. „Und sie sind bei denen, die Schreckliches erleben mussten. Mein tiefes Mitgefühl gilt ihnen, allen Angehörigen und Hinterbliebenen.“

Seit  einem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt  2016 ist der Breitscheidplatz seit 2018 mit Metallpollern, und Stahlgitterkörben und Stahlsockeln mit Betonfüßen als „Überfahrschutz“ geschützt. Der Bürgersteig am Kudamm gegenüber aber ist zugänglich.

Im aktuellen Geschehen bat die Polizei bat Zeugen via Twitter darum, Hinweise und Fotos/Videos an das Hinweisportal zu senden und nicht im Netz zu verbreiten.

Der Ort des Geschehens soll nun mit 3-D-Technik vermessen werden. Die Sperrungen dauern daher noch länger an. Die Polizei hat die Nummer für die Personenauskunftsstelle für Angehörige mitgeteilt. Sie ist erreichbar unter 030 - 84854460. Um 18 Uhr sollte in der Gedächtniskirche ein Gedenkgottesdienst stattfinden.

Die Gegend, in der sich die tödliche  Fahrt ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürdigkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland. In der Nähe befinden sich zum Beispiel der Zoologische Garten, der Bahnhof Zoo und das Kaufhaus des Westens (KaDeWe).