So schlimm sind die Arbeitsbedingungen in Seniorenheimen
Ute Albrecht arbeitete 15 Jahre lang in verschiedenen Einrichtungen. Sie sah gute Heime, aber auch schlechte. Im KURIER erklärt sie, warum sie nie wieder in den Job zurückkehren würde.

Sie gehören zu den Helden der Krise: Menschen, die in der Pflege arbeiten. Für sie wird applaudiert, sie sind die Stars der sozialen Netzwerke. Zufrieden sind viele nicht. Die Berlinerin Ute Albrecht arbeitete über 15 Jahre als Altenpflegerin in ganz Deutschland – und erzählt im KURIER, warum sie in den Job, den sie an den Nagel hängte, um keinen Preis zurückkehren würde.
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„Lieber Herr Spahn, überall werden zurzeit Pflegekräfte gesucht. Sie können mich weitersuchen. Ich werde mich nicht finden lassen.“ Mit diesen Worten beginnt ein Brief, der vor Tagen beim KURIER landete. „Ich war Krankenschwester in der Altenpflege, war in Demenz-WGs, Altenheimen und in der ambulanten Pflege. Ich wollte menschlich pflegen und vor allem menschlich leiten. Ich bin gegangen.“ Es sind die Worte einer Frau, die heute eine der Heldinnen der Corona-Krise wäre. Doch den Job, der einst ihr Leben war, hängte sie an den Nagel. Ute Albrecht arbeitet heute als Lehrerin – und würde nie mehr in die Pflege zurückgehen. In den Beruf ging sie nach der Schule. Zuerst nur, um eine Ausbildung zu haben. Später begann sie, als Lehrerin zu arbeiten. Doch nach der Wende zog sie von Berlin nach Bayern, ging in den Pflege-Beruf zurück, arbeitete in verschiedenen Altenheimen. „Ich habe schöne Einrichtungen erlebt, aber im Großen und Ganzen sind die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird, katastrophal“, sagt sie. „Jahrelang hat man gehofft, dass sich etwas ändert.“
Wenn in der obersten Etage eine Bewohnerin auf die Toilette geht und stürzt, hört man sie erst, wenn sie schreit.
Ute Albrecht, ehemalige Altenpflegerin
Nun stehen die Pflegekräfte der Stadt, die in den knapp 300 Pflegeheimen der Stadt mit immer mehr Pflegebedürftigen zu tun haben, angesichts der Krise vor neuen Aufgaben. Rund um die Uhr sind sie für die Bewohner da, kümmern sich um die Hygiene und gleichen das Besuchsverbot aus. Wie fragil das System ist, zeigen mehrere Fälle, unter anderem in Lichtenberg: Hier musste erst kürzlich eine Senioren-Wohnanlage mit 100 Bewohnern geräumt werden, weil sich 28 mit dem Coronavirus infiziert hatten. Zu dem Zeitpunkt gab es berlinweit 186 Corona-Fälle in Pflegeheimen, außerdem 96 infizierte Mitarbeiter, die dadurch ausfielen. Das größte Problem sei der Personalmangel. Vom Arbeitsamt kommen motivierte, aber auch viele unmotivierte Kräfte. Insgesamt blieben es zu wenige. „Man ist mit fünf Pflegekräften in einer Demenz-WG mit 25 Bewohnern“, sagt Albrecht. „Alle müssen gewaschen werden, angezogen, ihr Essen bekommen. Aber vielleicht wollen sie das nicht und weigern sich. Oder sie können nicht mit Besteck umgehen, müssen ihre Mahlzeit Löffel für Löffel bekommen. Dann die Medikamente, Spritzen, Verbände. Die Arbeit ist nicht zu schaffen“, sagt sie.

Nachts sei es noch schlimmer: Ein Heim mit 95 Bewohnern auf vier Etagen, im Nachtdienst zwei Pfleger. „Wenn in der obersten Etage eine Bewohnerin auf die Toilette geht und stürzt, hört man sie erst, wenn sie schreit.“ Dazu der Papierkram, der die Arbeit generell erschwere. „Alles muss dokumentiert werden: Essen, Trinken, Ausscheidungen, Pflegehandlungen, Beschäftigung. Damit wollte man sich gegen jegliche Risiken im Umgang mit den Patienten absichern. Aber man würde die Zeit lieber mit den Heimbewohnern verbringen.“ Es bliebe nicht einmal eine Pause für das Personal, sich auszutauschen – auf mancher Station kämpft jeder für sich. Vor allem demente Patienten bräuchten Zuwendung – unter normalen Umständen nicht machbar. Die einzige Möglichkeit, die auch Albrecht immer wieder erlebte: Dokumentenfälschung. „Da werden die Protokolle beschönigt. Es wird notiert, dass Patienten im Bett gedreht wurden, obwohl man es gar nicht geschafft hat. Und dann liegen sie sich wund.“
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Albrecht arbeitete sich bis zur Pflegedienstleitung hoch, unterrichtete außerdem angehende Pfleger, sah so mehr als 60 Pflegeheime, stieß aber in der Führungsebene selbst auf Hürden. „Von den Mitarbeitern wird immer schnelleres Arbeiten verlangt, die Namen der Patienten werden zu Geld. Die Heime sollen Gewinne einfahren, auf dem Rücken der Mitarbeiter, der Druck der Leitungen wird zum Personal durchgereicht. Daran habe ich mich aufgerieben, deshalb stieg ich aus.“ So wie Freunde und Kollegen. Würde sie zurückgehen? „Nein. Weil ich alten Menschen nicht mehr erklären will, warum sie im Heim so leben müssen, wie sie leben. Warum man keine Zeit für sie hat, warum ihr Essen so schlecht schmeckt. Ich habe das durchprobiert – die meisten Heime haben keine eigenen Küchen, lassen sich beliefern. Da sind weder Nährstoffe drin noch irgendetwas. Hauptsache, es ist günstig.“
Ich will den alten Menschen nicht mehr erklären, warum sie im Heim so leben müssen, wie sie leben. Warum man keine Zeit für sie hat, warum ihr Essen so schlecht schmeckt. Ich habe das durchprobiert – die meisten Heime haben keine eigenen Küchen, lassen sich beliefern. Da sind weder Nährstoffe drin noch irgendetwas. Hauptsache, es ist günstig.
Ute Albrecht, ehemalige Altenpflegerin
Dass sich an der Situation etwas ändern muss, hat auch die Politik verstanden – denn klar ist, dass es nicht reicht, wenn die Bürger auf ihren Balkonen applaudieren. Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) forderte etwa erst zum 1. Mai einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für Pflegekräfte. „Die Beschäftigten in den Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten verdienen nicht nur einmalige Wertschätzungen in der Corona-Krise, sie haben auch ein Recht auf gute Arbeitsbedingungen und angemessene Vergütung für ihre verantwortungsvolle, oft auch belastende Arbeit“, erklärte sie. Zudem soll es eine Bonuszahlung für Pflegekräfte geben – angesichts der Belastung während der Pandemie sollen sie einen Anspruch auf eine einmalige Prämie von bis zu 1000 Euro erhalten. Doch das scheint nicht genug – Brandenburgs Linke forderte eine dauerhafte Erhöhung der Gehälter um 500 Euro. „Gewinnerzielung muss ein für alle Mal von der Zielagenda des Gesundheitssystems gestrichen werden“, sagt die Landesvorsitzende Katharina Slanina.
Das Problem laut Albrecht: Viele im Beruf buckeln weiter. „Sie würden nie auf die Straße gehen, weil sie sagen: Wer kümmert sich dann um unsere Leute?“ Ute Albrecht hofft, dass sich durch die Krise an der Situation etwas ändert. Vielleicht führt die neue Wahrnehmung dazu, dass der Beruf anerkannter wird, mehr Arbeitskräfte in die Pflege möchten. „Denn es gibt gute Leute. Aber es sind einfach leider viel zu wenige.“