Als Weißensee noch grau und leer war
Im Atelierhaus und Studio Weissensee hält der einstige Hausbesetzer Micha Koch den Traum vom Kunstort für alle lebendig. Der Gentrifizierung zum Trotz.

Es ist kein Geheimnis mehr, dass spannende Künstler in Weißensee ihre Heimat und Ateliers gefunden haben. Maler Jonas Burgert bespielt eine alte Halbleiterfabrik an der Lehderstraße, einen Teil der Hallen nutzt Galerist Jan-Philipp Sexauer. Neben Autowerkstätten und zwischen Wohnhäusern haben im Dunstkreis der Kunsthochschule Weißensee Profis und Studenten Raum zum Wachsen gefunden. Einer der ersten Künstler, der in der Gegend schon Ende der 1980er die Dinge anders anpackte, war Micha Koch.
Anfang der 1990er machten Micha Koch und seine Mitstreiter aus einer Ruine an der Streustraße mit einer alten Möbelfabrik im Hinterhof ihr Haus. Ein Kunsthaus, das noch heute Probenräume und Offenheit für Neues im Programm hat. Bildhauer, Maler und auch Fotografen haben hier ihre Ateliers, die Warteliste ist lang. Die Miete? „So wenig wie möglich", sagt Koch, der auch selbst im Vorderhaus wohnt.
Weißenseer Urgestein nennen ihn die einen, König von Weißensee die anderen, er selbst würde sich als Studioboss bezeichnen, wenn es nicht so sehr nach Sugardaddy klingen würde. Dann eben Realisateur, Anreger und Künstler.

Besetzte Möbelfabrik
„Ein paar Sofas aus der Möbelfabrik hatten noch verpackt in den Hallen gestanden“, erinnert Micha Koch an die erste Zeit hier. Doch nach nur wenigen Wochen waren sie hinüber. Wilde Zeiten, wilde Nächte. Die Ruine des Vorderhauses, in der man vom Dach bis hinunter in den Keller gucken konnte, brachten die Künstler, allesamt mit einer Handwerkerausbildung, in Eigenregie nach und nach auf Vordermann. Mit der Idee eines sozialen Wohnungsbaus für Kulturschaffende waren sie Vorreiter. Ein fix gegründeter Verein machte aus Besetzern Verhandlungspartner. Noch heute wohnen einige weitere von ihnen im Vorderhaus, das der gemeinnützige Verein CulturLAWINE e.V. nach 15 vergeblichen Restitutionsanträgen vom Land Berlin kaufen konnte.

Im Gegensatz zum Tacheles, wo am Ende doch Kommerz die Kunst verdrängte, verteidigten die Künstler ihr Atelier-Refugium und öffnen es für die unterschiedlichsten Projekte. Videodrehs, Fotoshootings, Musik, Ausstellungen, Diskussionen – all das will Micha Koch im „Studio WEISSENSEE“ möglich machen. Während der Pandemie war die Arbeit allerdings nur eingeschränkt möglich. Was ihm Zeit verschaffte, den Kern des Projekts herauszuarbeiten.
Weiße bodenlange Vorhänge und Platz, das ist es, was Kreativität fördert, denn hier haben Ideen Raum. „Das ‚Studio WEISSENSEE‘ ist ein Ort für Künstler, es gibt einen Materialfundus, Werkstätten und Hände, die mit anpacken. Hier kann man wenigstens mal einen Hammer fallen lassen“, sagt Koch und weist auf den schön schrammeligen Boden, der Jahrzehnte Zeit hatte, Patina anzusetzen.

„Wir sind das, was es eigentlich immer war. Ein offenes, kreatives Haus, das andere einlädt, hier zusammen Projekte zu verwirklichen“, sagt Koch. Sich selbst treu zu bleiben, ist manchmal schwerer, als sich stets neu zu erfinden.
Und so startet Koch nach langer Corona-Pause am letzten Juni-Wochenende mit einer Kurzausstellung wieder den Betrieb für die Öffentlichkeit. „Jeder Tag ist anders“, so der Titel der Foto-Schau mit Werken von Susanne Müller und Markus Bossard aus Zürich sowie Fabio Müller und Micha Koch aus dem Berlin von heute und gestern. Kein Zweifel, dass der umtriebige Kreative, der nebenbei auch noch eine Flotte von Corona-Schnelltest-Bikes durch die Stadt schickt, seine Tage zu nutzen versteht.