Bacigalupos Orgeln gingen von hier aus in die ganze Welt
Als Prenzlauer Berg das Little Italy Berlins war
Italienische Handwerker und Händler prägten Ende des 19. Jahrhunderts den Bezirk. Eine neue Ausstellung im Museum Pankow erzählt ihre Geschichten.

Manchmal spielt vor den Schönhauser Allee Arcaden ein alter Mann auf einer Drehorgel. Es lohnt sich, dann einmal stehen zu bleiben, die Augen zu schließen und sich in eine Zeit zurückzudenken, in der Drehorgeln des Italieners Giovanni Battista Bacigalupo von genau hier aus die ganze Welt eroberten. Bis vor einigen Jahren hing das alte Firmenschild der Bacigalupos noch am Eingang zu den Werkstätten an der Schönhauser Allee. Heute erinnert eine Informationstafel an die wohl berühmtesten Italiener in Prenzlauer Berg.
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Doch Giovanni Bacigalupo und seine Familie waren nicht die Ersten, die sich im Karree zwischen Pappelallee und Schönhauser Allee niederließen. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Gegend, die zwischenzeitlich auch wegen seiner Latte-macchiato-Mütter bekannt wurde, das Zentrum italienischer Einwanderer in Berlin.

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Eine neue Ausstellung „Musica di Strada – Italiener im Prenzlauer Berg “ im Museum Pankow erzählt nun ihre Geschichten. Und weil das Märkische Museum derzeit saniert wird und leer geräumt werden muss, sind die faszinierenden Drehorgeln und mechanischen Instrumente aus der großen Sammlung des Stadtmuseums, die hier einst gebaut wurden, für die Schau zu ihrem Ursprungsort zurückgekehrt. Für zweieinhalb Jahre sind sie in der Halle für Sonderausstellungen des Museums Pankow zu sehen. Ein Glücksgriff, wie er nicht besser hätte gelingen können.
Italiener in Berlin-Prenzlauer Berg
Doch warum kamen überhaupt so viele Italiener zwischen 1861 und 1914 nach Berlin? Rund 14 Millionen Menschen verließen damals ihre Heimat auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Berlin war seit 1871 eine wachsende Metropole, die Arbeiter aus Italien wurden gebraucht.

Es kamen die Terrazzo-Leger, die Gipsfiguren-Hersteller und die Händler. Ganze Dörfer machten sich auf, ihr Glück zu suchen. Eltern schickten ihre Kinder nach Nordeuropa. Vor allem gingen die Männer als Saisonarbeiter zu Fuß über die Alpen in den Norden.
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Die Armut in Italien war so groß, dass Familien mitunter ihre Kinder an sogenannte Padrone verkauften. Als Bettler, Musikanten und Hilfsarbeiter schlugen sie sich dann in der Fremde durch. Auch die Geschichte von Giovanni Battista Bacigalupo begann so. Sie endete mit einer Firma von Weltrang.
In der Ferne schlossen sich die italienischen Auswanderer zusammen. In Berlin eröffnen in Prenzlauer Berg die ersten Restaurants und Eisdielen. Italienisches Handwerk prägt in den folgenden Jahrzehnten einen Teil des Prenzlauer Berg. Im Norden des Prenzlauer Berg entstand nach und nach eine kleine italienische Gemeinde. Little Italy in Berlin.
Dressierte Affen und Drehorgeln
Um das Jahr 1900 leben etwa 1300 Italiener in Berlin. Doch nicht immer werden die Konkurrenten um Arbeit von den Berlinern mit offenen Armen empfangen. Und exotisch sind sie obendrein: Ende des 18. Jahrhunderts sieht man sie mit Drehorgeln, dressierten Affen, Bären und Kamelen über die Höfe und Plätze Berlins ziehen. Sie kommen meist gar nicht bis in die Innenstadt und treten vor allem in den Außenbezirken wie Pankow auf.
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Als Anlaufstellen entstehen in der Schönhauser Allee gleich zwei italienische Restaurants, das Genua und das Ristorante Colonia Italiana. In der Buchholzer Straße, die Schönhauser Allee und Pappelallee verbindet, wohnten viele italienische Familien.

Hier eröffneten Chiaro Frati und Giovanni Battista Bacigalupo 1877 auch die erste Fabrik für mechanische Musikwerke. Schon bald waren die Cornettino-, Harmonipan oder Clariton-Drehorgeln international gefragt. 1883 bezog die Firma ein größeres Gebäude an der Schönhauser Allee.
1891 gründete Bacigalupo mit Orgelbauer John Cocchi und Antonio Graffigna ein weiteres Unternehmen, das es zu Weltruhm brachte: Cocchi, Bacigalupo & Graffigna beschäftigte Tischler, Gürtler, Schlosser, Bildermaler, Pfeifenmacher, Walzenzeichner und viele mehr. Eine Tradition beginnt, die die Söhne Bacigalupos bis zum Tod Giovanni Bacigalupos 1978 fortführen.

Berlin, das Mekka der Drehorgelspieler
Dass Berlin eine Drehorgel-Metropole wurde, lag auch daran, dass besonders viele Arme mit den Orgeln durch die Straßen zogen. Nicht alle konnten in der boomenden Stadt eine Arbeit finden, und so zogen die Ärmsten mit geliehenen Drehorgeln durch die Höfe.
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Wer einen Wohnsitz hatte, durfte das Leihgerät sogar über Nacht mit nach Hause nehmen, alle anderen brachten sie zur Leihstelle, wie es sie etwa in der Dunckerstraße im Gasthaus Eyser gab, zurück. Auch Bacigalupo lebte von der Reparatur und vom Verleih der Orgeln.
Affen für eine Mark am Tag
Kurios: Auch einen Affen konnte man für eine Mark am Tag mit ausleihen. 1893 waren in Berlin rund 3000 Drehorgelspieler unterwegs, schätzt man. Doch nach und nach wurden immer weniger Konzessionen an Italiener vergeben. Kriegsversehrte und Körperbehinderte nahmen ihren Platz ein.
In der Ausstellung des Museums Pankow und des Stadtmuseums Berlin taucht man in eine Zeit der Berliner Hinterhöfe, der Kutschen und Lokale ein. Immer sonntags werden die Drehorgeln und auch das Prachtstück der Ausstellung, das Orchestrion Fratihymnia, angestellt. Dann dröhnt und klingt es durch die ehemalige Turnhalle, dass einem die Ohren schlackern.

Der Direktor der Stiftung Stadtmuseum Paul Spies ist glücklich, dass die Drehorgeln und mechanischen Musikinstrumente weiter bewegt werden und nicht für die Dauer des Umbaus im Märkischen Museum im Depot landen. So, wie auch Gemälde aus der Sammlung in der Berlinischen Galerie gezeigt werden, ist die musikalische Sammlung in Pankow dank Mitteln der Lotto-Stiftung gut untergekommen.
Die Umzugspläne trieben zwar dem Restaurator am Märkischen Museum, Horst Riesebeck, die Schweißtropfen auf die Stirn. Doch am Ende ging alles gut. Für die Dauer der Ausstellung bis 2025 haben sich die Macher viel vorgenommen. Ein umfangreiches Begleitprogramm zur Schau soll auf die Beine gestellt werden. Das Leben der italienischen Familien in Prenzlauer Berg ist facettenreich und Bacigalupos Orgeln, die so etwas wie die Rolls-Royces der Handdrehorgeln waren, haben noch heute den Berliner Klang, den Experten sofort erkennen. Gut, dass man sie nun wieder da hören kann, wo sie hergestellt wurden.
Musica di Strada – Italiener*innen in Prenzlauer Berg. Handel, Handwerk und Musik im Museum Pankow, Prenzlauer Allee 227, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Sonntags 11 Uhr werden die Orgeln und mechanischen Musikinstrumente vorgeführt.