Absage von Großveranstaltungen : Chaostage mit Corona
Nach langem, heftig kritisiertem Zögern entscheidet sich auch Berlin für die Absage.

Es war wie zielloses Kicken im Mittelfeld, wenn der Ball zwischen den Spielern herumflippert. Erst schwor der 1. FC Union am Dienstag eisern, dass das Bundesliga-Spiel am Sonnabend gegen die Bayern in der Alten Försterei trotz Corona vor Publikum stattfindet. Abends erklärte das Bezirksamt Treptow-Köpenick, es sei nichts entschieden, und Mittwochvormittag dann die Meldung des Gesundheitsamts: Es wird ein Geisterspiel. Gleichzeitig scheint das Berliner Chaos im Umgang mit dem Virus zu enden. Veranstaltungen mit über 1000 Teilnehmern sind untersagt.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte am Dienstag für Unruhe gesorgt: Er forderte zwar eine bundeseinheitliche Regelung für den Umgang mit Großveranstaltungen, wollte aber erst die Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag abwarten, bei der es „möglichst“ zu einer Vereinbarung kommen sollte. Doch am Nachmittag kam Druck von Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Er verfügte, dass es bis 19. April in den großen Sälen von staatlichen Opern, Theatern und Konzertsälen keine Veranstaltungen geben wird.
Das gab Ärger. Florian Kluckert, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, hob das Wirrwarr in der rot-rot-grünen Koalition hervor: „Während der Regierende Bürgermeister abwartet und zögerlich ist, die Grünen-Fraktion sich mit ihrem eigenen Maßnahmenkatalog beschäftigt, handelt der Kultursenator.“ Thomas Isenberg, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: „Es ist äußerst ärgerlich, dass der Senat nicht mit einer Stimme spricht. Die Bevölkerung braucht Verlässlichkeit, Führung und Ansage. Außerdem sollte das Infektionsschutzgesetz geändert werden. Der Bund braucht mehr Anordnungskompetenz.“
Befreiungsschlag der Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, Carsten Schneider, sagte, er könne Berlins Politik „nicht nachvollziehen“. Wie Isenberg forderte er eine Umstrukturierung der Zuständigkeiten im Krisenfall, die SPD wolle das diskutieren. „Jeder Kreisamtsarzt hat mehr zu sagen als der Bundesgesundheitsminister.“ Für eine effiziente Vorgehensweise im Krisenfall sei diese Kompetenzverteilung ungeeignet.
Berlins CDU-Vorsitzender Kai Wegner verwies auf Beispiele wie das Bayerns, das bereits Veranstaltungen mit über 1000 Besuchern untersagt hatte: „Ich appelliere dringend an den Regierenden Bürgermeister, sich der verantwortungsvollen Linie der Bundesregierung und anderer Länder anzuschließen. Alle Berliner Großveranstaltungen sollten umgehend abgesagt werden.“ Und die von Müller geforderte bundeseinheitliche Linie gebe es bereits in Form der Empfehlung der Bundesregierung, Großveranstaltungen abzublasen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kann das nicht anordnen, weil die Entscheidung rechtlich den örtlichen Gesundheitsbehörden – in Berlin den bezirklichen Amtsärzten zugeordnet ist.
Mittwochmittag dann der Befreiungsschlag der Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD): Großveranstaltungen und Versammlungen mit mehr als 1000 Teilnehmern werden bis zum Ende der Osterferien am 17. April untersagt. Anschließend verkündete Müller in seiner Funktion als Wissenschaftssenator unter anderem, dass der Beginn des Sommersemesters auf den 20. April verschoben wird und bis dahin alle Lehrveranstaltungen, Konferenzen und Tagungen an den Berliner Unis abgesagt werden.
Den Amtsärzten der zwölf Berliner Bezirke reicht das nicht: Sie schrieben laut Inforadio an Kalayci, alle Sport- und Kulturveranstaltungen – auch in den Clubs – nicht mehr stattfinden zu lassen. Eine einheitliche Lösung für Berlin sei „unverzüglich erforderlich“. Vielfach reagieren Veranstalter von sich aus. Es hagelt Absagen auch kleinerer Treffen und weit in der Zukunft. So fällt der Rosenball am 23. Mai aus. In Berlin waren gestern 81 bestätigte Infektionsfälle registriert, fünf Patienten lagen im Krankenhaus. Mit 27 waren die meisten Infizierten zwischen 30 und 39 Jahre alt.