Tausende Häftlinge getötet

101 Jahre alt, trotzdem wegen Beihilfe zu KZ-Massenmord zu Haftstrafe verurteilt: Josef S. streitet bis zuletzt alles ab

Fünf Jahre soll der Greis absitzen, für seine Beihilfe zum Mord an 3516 KZ-Insassen.

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 Der Angeklagte bei der Urteilsverkündung im Landgericht Neuruppin.
Der Angeklagte bei der Urteilsverkündung im Landgericht Neuruppin.dpa/Fabian Sommer

Bis zum letzten Moment bestreitet Josef S., überhaupt jemals in dem KZ Sachsenhausen gewesen sein, in dem Hunderte Insassen ihren Tod fanden. Sein Anwalt plädierte auf Freispruch. Doch die Beweise gegen den 101-Jährigen waren nach neun Monate Verhandlung am Landgericht Neuruppin erdrückend: Der frühere SS-Wachmann des KZ Sachsenhausen soll trotz seines greisen Alters in Haft.

Fünf Jahre Haft: Ein geradezu mildes Urteil für die ihm zur Last gelegten Taten, doch für einen 101-jährigen Mann eine Strafe, die ihn möglicherweise bis zu seinem eigenen Tod verfolgen wird: Josef S. ist am Dienstag in Brandenburg wegen Beihilfe zum Mord an Tausenden Häftlingen im Konzentrationslager Sachsenhausen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann hatte in dem Prozess vor dem Landgericht Neuruppin bis zuletzt bestritten, in dem KZ Wachmann gewesen zu sein.

Der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann sagte: „Das Gericht ist zur Überzeugung gelangt, dass Sie entgegen Ihren gegenteiligen Beteuerungen rund drei Jahre lang in dem Konzentrationslager als Wachmann tätig waren.“ Damit habe der Angeklagte den Terror und die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten mitgetragen. „Sie haben mit Ihrer Tätigkeit diese Massenvernichtung bereitwillig unterstützt.“

Verteidigung forderte Freispruch für ehemaligen KZ-Wachmann, Staatsanwaltschaft fünf Jahre Haft

Auch die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre Gefängnis für den Mann gefordert. Nebenklage-Vertreter Thomas Walther plädierte auf eine mehrjährige Haftstrafe, die ein Maß von fünf Jahren nicht unterschreiten solle. Zwei weitere Nebenklage-Vertreter forderten einen Schuldspruch, ohne ein konkretes Strafmaß zu nennen. Die Verteidigung hatte einen Freispruch gefordert.

Der 101-Jährige hatte in dem seit Oktober vergangenen Jahres laufenden Prozess bestritten, dass er in dem KZ tätig war und angegeben, er habe in der fraglichen Zeit als Landarbeiter bei Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei ihrer Anklage aber auf Dokumente zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, Geburtsdatum und Geburtsort des Mannes sowie auf weitere Dokumente.

Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit: Zehntausende Menschen kamen im KZ Sachsenhausen ums Leben

In dem Konzentrationslager, das im Sommer 1936 von Häftlingen aus den Emslandlagern errichtet worden war, waren in der Zeit von seiner Errichtung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert - unter ihnen politische Gegner des NS-Regimes sowie Angehörige der von den Nationalsozialisten verfolgten Gruppen wie Juden und Sinti und Roma. Zehntausende Häftlinge kamen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, medizinische Versuche und Misshandlungen ums Leben oder wurden Opfer von systematischen Vernichtungsaktionen der SS. Im Prozess gegen Josef S. ging es um den Tod von 3516 Häftlingen.

Der Prozess wurde aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel, dem Wohnort des 101-Jährigen geführt. Der hochbetagte Mann war nur eingeschränkt verhandlungsfähig und konnte täglich nur etwa zweieinhalb Stunden an dem Prozess teilnehmen.