Sie wollen Berlin regieren: Raed Saleh (SPD,l-r), Kai Wegner (CDU),  Franziska Giffey (SPD) und Stefan Evers (CDU) am Mittwoch vor der Presse.
Sie wollen Berlin regieren: Raed Saleh (SPD,l-r), Kai Wegner (CDU), Franziska Giffey (SPD) und Stefan Evers (CDU) am Mittwoch vor der Presse. dpa/Carsten Koall

Der Begriff „Sondervermögen“ ist im Zusammenhang mit den der Bundeswehr versprochenen 100 Milliarden Euro bekannt geworden. Nicht ein Euro davon hat die Truppe bislang gesehen, wie die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, gerade festgestellt hat. Einen besonders guten Ruf hatte der Begriff „Sondervermögen“ auch vorher nicht: Er umfasst Schulden, die nicht so genannt werden sollen und deshalb in einem Schatten- oder Nebenhaushalt versteckt werden.

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Bis zu zehn Milliarden „Sondervermögen“ für Berlin: CDU und SPD sprechen ungeniert von Schulden

Weil das inzwischen ohnehin so gut wie jeder weiß, machen sich die zukünftigen Berliner Regierungspartner am Mittwoch ehrlich und sprechen gleich von Schulden. Davon hat Berlin allerdings schon reichlich. CDU und SPD wollen die Schulden Berlins, zuletzt rund 63 Milliarden Euro, also nicht massiv verringern, sondern noch erhöhen. Fünf Milliarden Euro, so erklären die beiden Koalitionsunterhändler, CDU-Generalsekretär Stefan Evers und SPD-Co-Vorsitzender Raed Saleh, solle das geplante Sondervermögen umfassen. Notfalls soll es sogar um bis zu zehn Milliarden Euro aufgestockt werden – und das für ein Projekt, das man wohl eher mit den Grünen in Verbindung bringen würde als mit CDU und SPD: den Klimaschutz.

Vor allem die CDU hatte Stimmen mit einem Wahlkampf mobilisiert, der sich gegen die ambitionierte Verkehrswende der Grünen richtete und gezielt motorisierte Menschen am Stadtrand ansprach. Und nun verspricht der künftige Senat eine „historische Kraftanstrengung“ für den Klimaschutz. Für eine kuriose Fußnote sorgte am Rande die Linke, die die Idee eines Klima-Sondervermögens für sich verbuchte: Diese habe sie in die Sondierungen mit SPD und Grünen eingebracht.

Klima-Volksentscheid könnte Senat unter massiven Zugzwang setzen

Warum lässt sich die CDU auf ein Projekt ein, dass ihren ohnehin ramponierten Ruf als Finanzexperten-Partei ruinieren könnte? Die künftigen Koalitionäre sind im Zugzwang: Denn der Weg zu Klimaneutralität für Industrie, Verbrenner, Heizungen, Kraftwerke und Flugzeuge ist gesetzlich vorgegeben. Bis 2045 muss dieses Ziel erreicht werden, dazu hat sich Berlin bereits verpflichtet. Doch das Ziel könnte bereits deutlich schneller verpflichtend werden.

Am 26. März liegt es in der Hand von Berlinerinnen und Berlinern, den Senat per Volksentscheid Klimaneutralität bereits bis 2030 zur Klimaneutralität zu verpflichten. Das hatte selbst der bisherige Senat zwar als nicht umsetzbar bewertet, doch politische Beobachter geben dem Volksentscheid hohe Chancen. Mit Großspenden haben selbst internationale Investoren den Initiatoren eine massive Werbekampagne finanziert, an der sich selbst TV-Stars wie Kurt Krömer und Kida Khodr Ramadan beteiligten.

Ohne das Milliarden-Sondervermögen könnten noch viel höhere Kosten auf Berlin zukommen

Sollten die Mehrheit der Abstimmenden und mindestens 25 Prozent der Abstimmungsberechtigten für den Klima-Volksentscheid stimmen, muss sich das Parlament mit dem Ansinnen beschäftigen. Wenn hier wiederum eine Mehrheit die Ziele des Volksentscheids befürwortet, ist der Senat in Zugzwang: Er müsste zumindest alles in seiner Macht stehende tun, um das Ziel zu erreichen. Ohne die massive Aufnahme von Sonderschulden wäre dies überhaupt nicht erreichbar. Insofern nimmt der zukünftige Senat nur vorweg, dass er ohne das nun eingeplante Sondervermögen mit einem Schlag sämtliche Planungen über den Haufen werfen müsste.

Umweltexperten haben vorgerechnet, was passiert, wenn massive Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen unterbleiben oder verzögert werden: Die Kosten für durch den Klimawandel entstehende Schäden übertreffen diese Kosten um ein Mehrfaches. Insofern ist es den zukünftigen Koalitionären hoch anzurechnen, dass sie über ihren Schatten springen: Klimaschutz aus realistischem Kalkül könnte auch bei denjenigen ankommen, die grüne Verkehrspolitik als Bevormundung auffassen. Die Ironie: Faktisch wird es auf mehr oder weniger dasselbe hinauslaufen. Vielleicht werden an der Friedrichsstraße weiter Autos rollen, doch Klimaneutralität ohne jede Einschränkung für Verbrenner, diese Hoffnung wird sich auch für CDU-Wähler kaum erfüllen.