Boxen
Enrico Kölling haut in Bernau wieder so richtig drauf
Dafür schmeißt der Schwiegervater Köllings Currywurst-Stand in Berlin und überhaupt ist ziemlich viel los in Enricos Leben.

„Es juckt immer noch in den Fäusten“, nennt Halbschwergewichtler Enrico Kölling den Grund, warum er am 1. Juli im Sportforum Bernau beim Boxstall „Eastside Fightnight“ in den Boxring steigt, um bei seinem 34. Profikampf gegen den Aserbaidschaner Ali Ismailow den 29. Profisieg zu feiern. Der 33 Jahre alte Berliner firmiert jetzt nach eigenen Aussagen „nur“ noch als Halbprofi. „Aber eine gute Kelle kann Kölle immer noch hauen“, sagen seine Kumpel im „Boxtempel“ Weißensee.
In diesem „Tempel“ klebt Boxtradition an jedem Ziegelstein. Dort bereitete Wolfgang Behrendt bereits 1956 seinen Olympiasieg vor. „Ich trainiere in Weißensee unter Anleitung meines Vaters, er war früher bei Dynamo selbst Boxer, jeden Tag abends zwei Stunden vor meiner Nachtschicht als Security-Mitarbeiter. Meine Frau Francis geht früh zur Arbeit, deshalb bringe ich nach dem Nachtdienst unseren vierjährigen Vito in die Kita und lege mich dann aufs Ohr“, schildert der einstige Junioren-Europameister, Deutscher Meister im olympischen Boxen und WBO-Europameister bei den Profis seine Morgenstunden.
Aus dem Nachtdienst in die Kita, schlafen, trainieren und von vorn
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„Manchmal musst du auch in deinem Job und bei den Familienpflichten durchhalten wie im Ring“, spielt Enrico ganz normale Vaterpflichten keineswegs herunter.
Den vielleicht größten Kampf lieferte der 33 Jahre alte Kölling am 11. November 2017 in der Save Marte Arena von Freno. Er traf damals auf den Europameister, Weltmeister und Weltcupsieger Artur Beterbijew (38). Der in Kanada lebende Russe bestritt bisher 19 Profikämpfe und gewann alle durch Knock-out. Beterbijew ist Weltmeister der IBF, WBC und WBO. Kaum ein Gegner forderte den Russen jedoch so heraus wie der Berliner Kölling im damaligen IBF-Titelfight. Erst 27 Sekunden vor dem Ende der zwölften Runde musste Kölling zum zweiten Mal auf die Bretter und der Ringrichter brach den Kampf ab.
Vor drei Jahren eröffnete Enrico in Berlin einen Currywurst-Stand. „Den Stand führt jetzt mein Schwiegervater weiter, denn mit dem Wurstgeschäft blieb mir keine Zeit zum Training. Drei bis vier Kämpfe zum Ausklang meiner Boxkarriere will ich noch bestreiten und dafür muss ich weiter hart trainieren“, gibt der Boxer Einblick in seine Pläne.
Kölling: Meine ersten 20 Kämpfe habe ich verloren
Einmal im Gespräch, tauchen natürlich alte Geschichten wieder auf. „Mein Vater und die Trainer haben bei jedem Kampf von mir die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Meine ersten 20 Kämpfe habe ich durch die Bank verloren“, erinnert sich Enrico. Das änderte sich erst mit 14 Jahren. Da war der Junge dann schon so gut, dass er in der Sportschule in Hohenschönhausen aufgenommen wurde. Mit 15 baumelte die erste Goldmedaille um seinen Hals. Enrico hatte sich den Deutschen Meister bei den Kadetten geholt.
„Insgesamt konnte ich im Nachwuchsbereich sechs Titel erkämpfen“, berichtet Enrico und setzte die gute Strecke gleich im ersten Männer-Jahr mit einem Deutschen Meistertitel fort. „Ich hatte an der Sportschule und dann bei der Bundeswehr-Sportfördergruppe mit meinen Trainern Glück, besonders von Ralf Dickert habe ich viel gelernt“, sagt Enrico.
Die Achtung basiert auf Gegenseitigkeit. Berlins Landestrainer war damals fest überzeugt: „Enrico ist ein fleißiger Arbeiter. Er wird auch bei den Profis seinen Weg gehen.“ Wie recht Dickert doch hatte. Die erste Ansage gelang damals Halbschwergewichtler Kölling bereits im Januar 2013, als er sich den WBO-Juniorenweltmeister-Gürtel holte. Den Titel legte Enrico an seinem 24. Geburtstag nieder. „Den Gürtel habe ich heute noch. Er ist meine erste Profitrophäe. Kölling schlug in seinem ersten und einzigen Junioren-WM-Fight den Georgier Patar Aduaschwili in der dritten Runde K.o. „Es war mein dritter Kampf in Folge, den ich vorzeitig gewonnen habe. Das machte mir Mut und zeigt mir, dass ich bei Trainer Karsten Röwer meine Schlagkraft weiter verbessert habe“, erinnert sich Kölling.
Erfolge brachten Kölling einen Job in der Türkei
Enrico kam nicht als unbeschriebenes Blatt zu den Profis. Er boxte sich bei Olympia in London bis ins Viertelfinale. Schon 2008 stand der Berliner bei der U19-WM in Mexiko als Silbermedaillengewinner auf dem Siegerpodest. Auf so ein Talent wurden auch international Experten aufmerksam. Amateur Kölling freute sich über so viele Beachtung: „Die Türken holten mich für ihre WSB-Mannschaft nach Istanbul. Das war eine gute Schule für mich; nicht nur sportlich. Ich boxte dort zum ersten Mal fünf Runden ohne Kopfschutz. Von acht Kämpfen gewann ich fünf. Ich betrachte diesen Ausflug an den Bosporus heute noch als gute Vorbereitung auf die Profizeit. Bei den Türken bin ich auch viel selbstständiger geworden. Ich wohnte in der Türkei mit Boxern aus verschiedenen Ländern zusammen und musste für mich ganz allein sorgen. Das schulte.“
Eigentlich wollte Enrico nach London noch bei den Amateuren weitermachen: „Ich brachte es auf 168 Amateurkämpfe und wollte die 200 voll kriegen und zur Weltmeisterschaft fahren. Doch da kam dann das Angebot von Sauerland.“ Enrico griff zu. Henry Maske, Tiger Michalszewski und vor allem Sven Ottke waren seine Vorbilder: „So wie sie wollte ich auch werden. Bei den Amateuren hielt mich nicht viel. Nur Trainer Ralf Dickert tat mir leid, dass ich ihn zurücklassen musste. Ansonsten sind meine Erinnerungen an die Amateurzeit nicht so prickelnd. Die Gruppe-Röwer bei Sauerland mit Zeuge, Skoklund, Bytsow und Brähmer war ein richtig netter Haufen. Jürgen Brähmer halte ich übrigens für einen ganz großen Kumpel. Als ich mich auf meinen Junioren-WM-Kampf vorbereitet habe, stellte er sich als Sparringspartner zur Verfügung. Dabei war ich damals eigentlich noch ein Nobody. Welcher Weltmeister ist zu solcher Unterstützung für einen Boxer ohne Titel schon bereit.“ Natürlich konnte Enrico die Hilfe zurückgeben: „Wann immer mich Jürgen als Sparringspartner in Vorbereitung auf seine damaligen WM-Kämpfe rief, war ich bereit. Später ging ich mit Jürgen auch ins Güstrower Trainingslager.“
Natürlich weiß Enrico um das Risiko als Profiboxer ohne Berufsausbildung: „Ich bin nach der zehnten Klasse gleich zur Bundeswehr. Ich halte mich allerdings für bauernschlau genug, um eine Beschäftigung für mich zu finden.“ Wie Enricos Lebensweise zeigt, hat er für sich einen Weg gefunden.
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